Was kann man tun in Corona-Zeiten, wenn Mittelaltermärkte, Ritterturniere, alle „fröuden, hôchgezîten“ abgesagt sind? Was soll man da tun, um trotzdem in der Atmosphäre alter Zeiten zu versinken, um zu schwelgen in den Träumen von edlen Rittern, schönen Königstöchtern, kühnen Recken, prächtigen Lanzenkämpfen, bunter Mode, Kaisern und Päpsten?
Hier sind 5 Vorschläge, wie ihr euch das Mittelalterflair ganz ungefährlich nach Hause holen könnt, um diesen Sommer trotzdem nicht auf eure Dosis Vergangenheit verzichten zu müssen!
Vorschlag 1: Lernt die Aussprache des Mittelhochdeutschen und lest die großen Epen im Original!
Denn nichts schindet mehr Eindruck, als wenn man der oder dem Liebsten verschwörerisch zuraunen kann: „Dû bist beslozzen in mînem herzen – verlorn ist das sluzzelîn: Dû muost ouch immêr darinne sîn“.
Besonders fleißige Mittelalterfans kaufen sich außer einer zweisprachigen Ausgabe ihres Lieblings-Epos auch gleich noch den Taschen-Lexer, das mittelhochdeutsche Wörterbuch!
Vorschlag 2: Mittelalterlich kochen
Heutzutage gibt es Kochbücher zu nahezu jedem Thema. Es gibt sogar ein Papst-Kochbuch. Wer lieber fasten möchte, findet in den Weiten des Internets stattdessen ein Buch mit Rezepten für Füllhaltertinte. Es gibt nichts, was es nicht gibt.
Warum also nicht mittelalterlich kochen? Freut euch auf Braten und Fisch, auf würzige Salsen und köstliche Teigschnitten!
Vorschlag 3: Folgt einem HEMA-Kanal auf YouTube
Die Kampftechnik der Ritter war nur grobes Draufhauen, und selbst der allerbeste Kämpfer „der ie kom ze sturme oder ie schilt getrouc“ wäre gegen einen flinken Samurai mit seinem prächtigen, blinkenden, ja, geradezu magischen Katana chancenlos und zur Niederlage verdammt? – Wer das glaubt, sollte sich von den Experten der Historical European Martial Arts eines Besseren belehren lassen.
Basierend auf den Fechtbüchern der deutschen und italienischen Meister des ausgehenden Mittelalters (eines der Fechtbücher wurde gar von Albrecht Dürer illustriert) haben sportlich begabte Historiker, Geschichtsfans und Kampfsportler die Fechtstile des Mittelalters rekonstruieren können – und wenden sie zur Freude und Unterhaltung der Zuschauer vor Publikum und Kameras tatsächlich an. (Keine Angst, die Sicherheit steht natürlich an wichtigster Stelle!) Inzwischen werden auch Wettkämpfe in historischer Fechtkunst ausgerichtet!
Also, da viele von uns ja ohnehin dauernd in unser Handy reinstarren, können wir genauso gut etwas Sinnvolles mit unserem Smartphone anfangen und ein paar Filmchen à la „HEMA instructors fight/sparring“ oder Videos von „scholagladiatoria“ „Shadiversity“, „Skallagrim“ oder „Blood and Iron HEMA“ (I understood that reference, thank you very much) anschauen!
Wer es bis dahin noch nicht geahnt hat, wird danach endlich wissen, dass Hollywood-Kampftechniken in einer echten Schlacht völliger Humbug wären.
PS: Recherche über Kampfesweisen ist auch für Autoren von nicht zu überschätzender Wichtigkeit!
Vorschlag 4: Lest Bücher über Kaiser, Dynastien, den Investiturstreit
Viele Menschen heutzutage interessieren sich für das Leben der kleinen Leute im Mittelalter, über ihren Alltag, ihre Sorgen, ihre Mühen, ihre Freuden und ihre Feste.
Aber Kaiser und andere Adlige und Päpste sind doch viel spannender!!!!!! Die Bauern und Bürger in allen Ehren (einer muss ja schließlich arbeiten und alle ernähren), doch große Geschichte wurde meist nicht auf dem Acker gemacht, sondern in Pfalzen und auf dem Schlachtfeld, auf Hoftagen und auf Synoden. Da gibt es die brüdermordenden Merowinger des Frühmittelalters, den listigen Heinrich V., der seinen Vater absetzte, das prunkvolle Mainzer Hoffest; da gibt es weinende Könige und stolze Päpste, da gibt es den Kniefall eines Kaisers vor seinem Vasallen, Mordanschläge und Ehrverletzungen, Romzüge und treue Städte (Worms 1073), Privilegien, Fälschungen und ein Pravileg, Habsburger ohne Geld, aber mit Bräuten mit reicher Mitgift, und mein liebstes Thema: den Investiturstreit!
Vorschlag 5: Lest die König-von-Burgund-Saga von Lili Vogel
Die vierteilige König-von-Burgund-Saga von Lili Vogel entführt die Leserinnen und Leser ins farbenprächtige Mittelalter, in die Welt der deutschen Heldensagen! Mit viel Liebe zum Detail und Gespür für große Dramatik widmen sich die Romane zwei der bekanntesten Figuren des Nibelungenlieds: Gunther von Burgund, dem König, der reich und schwach zugleich ist, und Hagen von Tronje, seinem listigen Getreuen. Schwächling und Schurke, Herrscher und Berater, König und Gefolgsmann – die beiden wohl umstrittensten Figuren der deutschen Literatur erhalten hier eine Vorgeschichte, der es an Dramen und Kämpfen, an Prunk und Gefahr nicht mangelt. König Etzels Hunnen und Burgunds stolze Kämpfer treten hier genauso auf wie die schöne Kriemhild; Treue und Grausamkeit, Freundschaft und Intrigen, Sanftmut und Herrschsucht schillern prächtig in diesem rasanten Epos voller psychologischer Raffinesse und erzählerischer Wucht!
Die Romane sind keine Nacherzählung der bekannten Sagen, sondern ergänzen die Nibelungensagen um neue Geschichten und Figuren.
Hier ein Ausschnitt aus dem dritten Band, „Der König von Burgund und der Herzog“:
Eine Turnierszene, damit alle, die 2020 ihre Mittelalterfeste vermissen, sich immerhin in Gedanken in Mittelalterstimmung versetzen können!
König Gunther führte die Scharen zum Rhein hinab. Die Streiter eilten zu den Zelten, um sich zu rüsten, während die Damen und die Greise sich auf den Tribünen niederließen. Die ausgelassenen Wormser Bürger säumten die Ränder des Turnierplatzes. Nur die Geistlichen blieben dem Turnier fern, denn die Kirche verwarf das Tjosten und Buhurten als schlimme Sünde. Gunther hätte deshalb gerne alle Turniere verboten, aber man riet ihm davon ab: Er gälte dann in allen Reichen als Pfaffenkönig und Sonderling.
Er saß zwischen Mutter und Kriemhild in der ersten Reihe. Als die Kämpfer auf den Platz ritten, atmete er inbrünstig auf. Als König durfte er sich der Teilnahme an Turnieren enthalten, so oft er wollte, und keiner konnte ihn dafür schmähen.
„Ach, wie sie wieder im Sattel sitzen, andächtig, als ging’s um Tod und Leben!“, sagte Kriemhild. „Dabei ist’s nur ein Turnier, keine Schlacht! Von der Hingabe, die sie als tumbe Jungen ihren Spielen gönnten, lösen sich die Männer nie, und stülpen sie allem über, was ihnen in den Kopf kommt.“
„Ihr Frauen braucht nicht zu spotten“, gab er leise zurück. „Hör nur, wie deine Hofdamen wieder seufzen! Das Geschmachte, das sie als tumbe Mädchen alten Sagenhelden entgegenbrachten, überwinden sie nie, und überschütten jeden Kerl damit, wenn er nur verwegen dreinschaut!“
Der Herold verkündete, was der Preis des Siegers war: Er durfte der Dame seiner Wahl einen Kranz aus roten Rebenblättern überreichen und sich von ihr küssen lassen. Wie üblich erlaubten sich die jungen Damen ein kindisches Kichern, und mancher Ritter warf einen vielsagenden Blick zur Tribüne und zu seiner Auserwählten hinüber. Volker von Alzey hob die Hand und beschrieb eine weite Geste, die sollte heißen: „Alle schön!“, Dankwart nickte zu den Bürgerinnen hinüber, und Hagen saß hoch aufgerichtet und starr, als hörte er nicht die Regeln eines Turniers, sondern die Rede eines Heerführers mit an.
Immer zwei würden zur Tjoste gegeneinander antreten. Wessen Lanzenstich dreimal fehlging oder wer aus dem Sattel gestoßen wurde, der schied aus dem Turnier aus.
Die Kämpfer wendeten ihre Rösser der Tribüne zu, verneigten sich und galoppierten dann in schwungvollem Bogen hinüber zum Rand des Turnierplatzes. Alte Väter nutzten diesen Augenblick, um ihren Söhnen wohlgemeinte, wenngleich nichtssagende Ratschläge zuzurufen, „Werf sie alle vom Gaul“, oder „Gib dein Bestes“; die Wormserinnen riefen ihren Lieblingen „Glück auf!“ zu, und die eine oder andere edle Jungfrau seufzte leise vor Verliebtheit.
Die ersten beiden Kämpfer waren Dankwart und ein Lehnsmann des Grafen von Falk. Dankwarts Sieg nahm niemanden wunder.
„Das ist ein Ritter!“, flüsterten mehrere Mädchen hinter ihnen und seufzten verträumt.
Bei der nächsten Tjoste gewann Ortwin, dann ein Graf aus dem Süden, und so ging es hin mit vielen Stürzen und Splittern, aber – dem Herrn sei Dank – keinen schlimmeren Vorfällen.
Giselher reckte bei jedem Kampf die Faust in die Luft, jauchzte und jubelte ungezügelt wie die Städter und die Bauern; Kriemhild dagegen blieb reglos wie eine Marmorsäule und gönnte selbst den besten Siegern nur kurzen Beifall.
„Zeig doch wenigstens einen Hauch Begeisterung“, murmelte Gunther ihr zu, während Volker von Alzey sein Ross tänzeln ließ und sich Ritter Heinrich von Grünstein aus dem Sand hievte und hinüber zu dem Tisch hinkte, an dem man reichlich Wein für die Ausgeschiedenen bereithielt.
„Warum sollte ich sie für das bejubeln, das man von jedem von ihnen erwarten darf? Sie müssen annehmbare Kämpfer sein, dazu sind sie geboren. Wer nur seine Pflicht erfüllt, braucht keinen Lorbeer.“
„Tu, was du willst“, sagte er barsch und wollte sie nicht weiter beachten; Kriemhild aber wurde übermütig und fragte keck: „Bist du froh, dass dir die Stürze erspart bleiben?“
„Lass das Geschwätz! Schau lieber dem Turnier zu.“
„Oh ja, schau, da kommt Gernot! Oh, Gernot wird gewiss gewinnen!“
Gunther verschränkte die Arme vor der Brust. Ein kleiner Sturz täte Gernots Stolz nur gut. Atemlos verfolgten sie, wie Gernot gegen den wackeren Eckewart anritt – und den Sieg davontrug. Gunther seufzte verärgert, Kriemhild und Mutter jubelten.
Dann kündigte der Herold die nächsten Streiter an: Der eine war Konrad von Sturmfels, ein unverheirateter Heißsporn aus der Markgrafschaft Metz, der dank seiner schwarzen Locken und seines großzügigen Geldbeutels in der ganzen Stadt beliebt war. Der Jubel der Bevölkerung wogte drum hoch und heftig. Der andere: Hagen von Tronje. Der Lärm, den die Wormser veranstalteten, übertraf alles bisherige Getöse. Recht so. Das war der Mann, der Burgund die Freiheit erkämpft hatte. Gunther gönnte es ihm. Bei den Hunnen waren ihm nur immer Hass und Argwohn entgegengeschlagen.
Hinter ihm hob ein Tuscheln und Schwärmen an, die Edeldamen waren wie von Sinnen. Kriemhild beugte sich ein wenig vor.
„Und dazu so gutaussehend!“, quietsche eine hohe Stimme, „und diese Augen, diese blauen Augen!“
„Der verdreht ja allen den Kopf“, sagte Gunther leichthin und sah aus dem Augenwinkel zu Kriemhild hinüber. „Das hätt’ ich nicht gedacht, dass er solch eine Wirkung auf die Frauen hat, er ist ja immer nur kalt und grimmig.“
„Vor allem ist er kühn“, sagte Kriemhild leise. „Das gefällt jeder Frau.“ Überlistet! Sie schien aufgeregt, geradezu, als hätte sie eine Heldentat begangen, indem sie ihn verteidigt hatte. Sie löste ihren Blick keinen Herzschlag lang von Hagen.
Ein Hornstoß gab das Zeichen zum Angriff. Sturmfels’ Ross galoppierte mit mächtigen Sprüngen. Hagens Schimmel schoss vorwärts, dass der Sand aufstob.
Gunther und Kriemhild lehnten sich vor, hielten beide die Luft an und verfolgten jede Bewegung von Hagen und seinem Ross. Als ihn die Lanze traf, meinten sie schon alles sei verloren, er müsse fallen – dann aber richtete er sich wieder auf, während sein Gegner zu Boden stürzte. Ihrer beider Stöhnen der Enttäuschung wurde zu einem wilden Triumphschrei, der freilich im Gebrüll der Wormser und Gekreisch der Edeldamen unterging. Hagen zügelte sein Ross, hob dankend die Hand und galoppierte zurück zum Ende des Turnierplatzes. Dem Gestürzten blieb zum Trost nur der Wein; war er auch sonst beliebt gewesen, so kümmerte sich nun kaum jemand um sein Los.
Kriemhild verstummte rasch und meinte wohl, dann vergäße Gunther ihre vorherige Begeisterung.
Als die Hälfte der Streiter ausgeschieden war, traten die verbliebenen erneut zur Tjost an. Wieder entschied das Los, wer gegen wen ritte. Es gab mehrere spannende Kämpfe, deren aufregendster der zwischen Dankwart und Konrad von Falk war. Falk siegte, zum großen Missfallen des Herzogs. Gunther mahnte ihn, sich nicht allzu sehr zu grämen, schließlich habe er noch einen zweiten Streiter, der seinem Namen und Wappen Ehre einbringen könne, doch der Herzog winkte ab und knurrte, ein Sieg von Hagen sei nicht dem Stamm der Tronjer, sondern dem Hunnenland anzurechnen.
Als der Herold die nächsten beiden Kämpfer ankündigte, hätte Gunther vor Freude fast laut aufgelacht. Stattdessen ballte er schwungvoll die Fäuste. Gernot gegen Hagen! Endlich würde sein großartiger Bruder erfahren, wie eine Niederlage schmeckte. Dem Jubel nach zu schließen, war Gernots Sieg auch nicht der Wunsch der Wormser.
Hagen enttäuschte ihn nicht: Er warf Gernot aus dem Sattel, mühelos, mühelos gar!
„Ha!“, rief Gunther und sprang auf. „Das ist ihm gelungen!“
Der Herzog erhob die Stimme, damit Gunther ihn über das Getöse hin halbwegs vernehme: „Herr, mäßigt Eure Freude! Ihr demütigt Euren Bruder vor aller Augen!“
„Ha!“, rief Gunther da noch einmal. Dann setzte er sich wieder hin.
Hagen galoppierte zu Gernot hinüber und fragte ihn offenbar, ob er den Sturz unbeschadet überstanden habe. Wie Gernot unwirsch nickte und losstampfte zum Tisch mit dem Verliererwein, wandte er sein Ross herum und jagte davon. Er legte wohl keinen Wert darauf, sich von der Masse mit Hochrufen überschütten zu lassen.
Die Edeldamen tschilpten wie ein Spatzenschwarm. Kriemhild hatte ein verträumtes Lächeln auf den Lippen. Wie sie merkte, dass Gunther zu ihr hersah, gab sie sich rasch den Anschein überlegener Ungerührtheit und sprach leichthin: „Ich sage dir, er wird gewinnen! Hoffentlich sucht er sich für den Siegeskuss eine aus, die nicht sofort in Ohnmacht fällt.“
„Du sprichst sehr hämisch über deine Freundinnen.“
„Ich spreche über sie auf die Weise, die sie verdienen.“
Es folgten noch einige weitere Tjosten; die Zahl der Streiter dünnte sich aus, bis schließlich nur noch vier übrig waren. Volker ritt gegen Konrad von Falk, mehrmals, denn keinem gelang es, den andern aus dem Sattel zu stoßen. Schließlich ging Konrads Lanze zum dritten Mal fehl, und Alzey fiel der Sieg zu. – Ortwin unterlag Hagen schon bei der ersten Tjost.
Der Herold befahl das letzte Kämpferpaar zu sich, rief ihre Namen aus und zählte ihre Siege auf. Volker hatte den Helm abgenommen und sah mit gleißendem Lächeln in die Runde; Hagen dagegen saß aufrecht im Sattel, die Hände in die Hüften gestützt, und zeigte keine Regung.
Als der Herold geendet hatte, verneigten sich beide in Gunthers Richtung, galoppierten einmal die Länge des Kampfplatzes hinauf und hinunter und ließen sich dann die Lanzen reichen. Obwohl Volker kein Hunnenbezwinger war, schwebte mancher entzückte Seufzer zu ihm herab. Er sah durchaus prächtig aus in seinem waldgrünen Waffenrock mit dem goldnen Wappen drauf; einzelne Ringe seines Kettenhemds waren vergoldet und blitzten hell im Sonnenlicht. Auf dem Helm trug er als Zimierde einen hölzernen Fasan, buntbemalt und mit echten Schwanzfedern versehen. Das war eine neuartige Mode, dass man im Turnier solche Aufsätze trug, Tiere, Burgen, eiserne Flügel oder Bäume, und mancher alte Ritter murrte insgeheim, die jungen Kerle sähen mit diesen Dingern ein jeder aus wie ein Geck. Die Frauen aber meinten, das verleihe dem Träger noch mehr Kühnheit und Verwegenheit.
Hagen nahm sich gegen Volker ganz unauffällig aus: Er trug keinen Schmuck auf dem Helm, keine Goldfädchen glänzten in seinem Waffenrock, und sein Schild war mit keinem einzigen Edelstein besetzt. Jetzt aber fing sein Ross an zu tänzeln, zweimal wollte es halb steigen, und die Knappen in der Nähe wichen rasch zurück, um nicht von einem der gefährlichen Hufe getroffen zu werden. Eine ganze Weile lang trotzte der Schimmel und gebärdete sich wie wild; die Herzogin rief schon verzweifelt den Herrgott um Hilfe an, damit ihr Sohn nicht zermalmt werde von diesem Teufelstier, und die Wormserinnen schlugen die Hände vor den Mund und keuchten und wimmerten.
Gunther ließ sich nicht täuschen: Er sah genau, dass Hagen sein Ross mit Absicht zum Tänzeln trieb. „Wie der den Gaul im Griff hat“, sagte er leise.
„Hm“, gab Kriemhild fast andächtig zurück.
Als Hagen beschloss, dass er genug angegeben hatte, brachte er den Schimmel zum Stehen und wartete nun bescheiden auf das Zeichen zum Beginn. Der Herold und der Hornrufer blickten zu Gunther; er hob die Hand, und der Hornstoß erklang. Hei, wie der Sand spritzte! Wie die Zuschauerscharen rauschten! Wie die Schweife flatterten!
Es gehörte sich nicht, dass der König einen Streiter bevorzugte, aber Gunther konnte sich nicht zurückhalten, er schrie voll Eifer: „Vorwärts, Hagen, vorwärts!“
Kriemhild neben ihm gab keinen Laut von sich und rang die Hände vor Anspannung. Über alles Gezirpe und Gebrüll hinweg erhob sich der Schrei der Herzogin: „Pass auf, mein Liebling, pass auf!“
Hagens Sieg war überdeutlich: Volkers Stich ging fehl, stattdessen traf ihn Hagens Lanze am Kopf und warf ihn in den Sand. Er rollte dem Schimmel genau vor die Hufe; nur weil Ross und Reiter im letzten Augenblick über ihn hinwegsetzten, behielt er sein Leben. Hagen zügelte den Schimmel, sprang ab, noch bevor er zum Stehen kam, und eilte zu Volker zurück.
Stille breitete sich aus, jeder wartete bang, ob Volker sich regte. – Ja doch! Hagen reichte ihm die Hand und zog ihn hoch. Der Alzeyer nahm den Helm ab, grüßte in die Runde und wischte sich mit großer Geste die Stirn.
Jubel ohne Ende, es müsste selbst der Wein in den Kellern der Pfalz davon zittern, und die Münzen und Edelsteine in der Schatzkammer müssten klirren. Welch ein Sieg! Auch Hagen nahm den Helm ab, bestieg wieder sein Ross und jagte zwei Runden über den Turnierplatz in wohlverdientem Triumph. Gunther erhob sich, und mit ihm alle anderen. Jetzt geizte Kriemhild nicht mehr mit ihrem Beifall.
Der Herold trat vor die Tribüne. Hagen trieb sein Pferd neben ihn. Seine Züge versteinerten; von der Anstrengung war sein Gesicht vorher gerötet gewesen, jetzt kehrte die Blässe zurück. Gunther setzte sich wieder, und der Herold rief um Ruhe. Die Weiberstimmen verklangen schneller als die der Männer; die Schwärmerinnen hofften eine jede atemlos, dass er gerade ihr den Blätterkranz überreiche.
Endlich herrschte Schweigen. „Geliebter König, edle Herren und Damen, getreue Bürger und Bauersleut: Das Turnier ist aus, der Sieger steht vor uns! Seht ihn hier, in vier Kämpfen ungeschlagen!“
An dieser Stelle erhob sich Gunther. „Nimm meinen Glückwunsch, lieber Hagen“, rief er laut, „du hast mir und dir große Ehre gemacht.“
Hagen neigte sich würdevoll. Der Herold fuhr fort: „Mit Kraft und Geschick hat er sich gegen alle Gegner behauptet, da ist es recht und billig, dass er nun den Siegespreis erhält! Den Kranz aus rotem Weinlaub geb ich ihm, den soll er einem Weib seiner Wahl überreichen und ihren Kuss entgegennehmen!“
Er hielt Hagen den Kranz hin. Der verharrte zwei Herzschläge lang und schaute nur den Kranz an, ohne sich zu bewegen. Dann streckte er den Arm aus und nahm ihn entgegen wie etwas, das sich nicht vermeiden ließ. Die Luft flimmerte von der Aufregung der Edelfrauen, und unten bei den Bürgerinnen plätscherte sogar Gekicher. Kriemhild hielt sich gerade, hatte sich ihren Zopf über die Schulter gelegt und erlaubte sich den Anflug eines Lächelns, als gehörte sie keineswegs zur aufgeregten Schar der Jungmädchen, die sich nach Kranz und Kuss sehnten, sondern fände dieses Ereignis nur unterhaltsam, nichts weiter.
Volker von Alzey stand neben Hagens Ross und nickte betrübt, da ihm der Preis so knapp entgangen war.
Hagen ließ seinen Schimmel langsam im Kreis gehen. Sein Blick streifte über die zahllosen Mädchengesichter hin. Dann trieb er das Ross vier Schritte näher an die Tribüne heran. Er sah nur zu Gunther, als er rief: „So viele Frauen und Mädchen hab ich noch nie geseh’n, eine jede anmutig und schön. Vor einer solchen Auswahl bin ich ratlos, ich kann mich nicht entscheiden, und darum bitte ich, Herr, dass ich den Kranz und den Kuss an den Zweiten abtreten darf.“
Hundert Edeljungfrauen keuchten entsetzt auf.
Gunther fing halb an zu lachen. „Wenn das dein Wunsch ist, sei er dir erfüllt.“
Hagen warf den Kranz Volker zu. Der fing ihn auf und drückte ihn sachte an die Brust. „Hab Dank, hab Dank! – Doch, ihr Leute, es ergeht mir ja genauso wie dem jungen Tronjer: „Ich kann mich nicht entscheiden!“
Tiefes Gelächter antwortete ihm, auch einige Mädchenstimmen darunter; die hatten sich schon damit abgefunden, dass der Sieger seinen Preis verschmähte. Dass er überhaupt keine gewollt hatte, trug wohl einen großen Teil dazu bei.
Kriemhild dagegen schäumte. Die würde es Hagen nicht so rasch verzeihen! Ihr Kiefer war angespannt, und ihr Blick glühte schmiedeheiß.
Gunther flüsterte ihr ins Ohr: „Listig hat er das angestellt! Nun wird’s keine Eifersüchteleien unter den Mädchen geben, weil er keiner den Vorzug gab. Ein einträchtiges Fest wird’s heute werden, ganz ohne Weiberneid.“
„Großartig“, sagte Kriemhild zwischen zusammengebissenen Zähnen.
Volker verkündete gerade, er wolle ungern diesen zahllosen Schönheiten Kummer bereiten, indem er nur eine einzige zur Allerschönsten erklärte. „Drum bitte ich, Herr, dass ich alle küssen darf!
Lauthals lachte man, und der Herold sah doch tatsächlich mit fragendem Ausdruck zu Gunther hinüber, als sei Alzeys Vorschlag einer, den man ernsthaft erwägen könne! Gunther schüttelte unauffällig den Kopf.
Der Herold hob den Arm und rief, das sei zwar ein löbliches Vorhaben, doch die Regeln erlaubten es nicht. Es bleibe dabei: ein Kranz, ein Kuss.
Volker nickte betrübt und verneigte sich erst vor den Edeldamen, dann vor den Bürgerinnen. Daraufhin eilte er zur Tribüne, stieg die paar Stufen zur ersten Sitzreihe hoch und streckte die Hand aus. „Edle Kriemhild“, sprach er laut vernehmlich, „gestattet, dass ich Euch den Kranz darbringe, da Ihr selbst Engel das Neiden lehrt! Er wird auf Eurem goldenen Haar thronen wie ein Ring aus Feuer.“
Kriemhild warf ihm einen langen Blick zu, der deutlich zeigte, dass sie sich einen anderen erhofft hatte, um ihr den Preis zu überreichen. Trotzdem neigte sie sich. Volker trat heran und gab ihr den Kranz. Sie setzte ihn auf, erhob sich unter dem Jubel der Zuschauer und gab Volker einen raschen Kuss.
„Ach, edle Königsschwester, vergebt mir, dass ich nur der zweite Sieger bin“, murmelte er.
„Ich brauche Euch nichts zu vergeben“, entgegnete sie. „Ihr seid liebenswürdig, kühn und höflich. Ihr seid ein Ritter, wie Ihr ihn in Euren Liedern besingt.“
Volker blinzelte keck, drückte noch einmal ihre Hand und stieg hinunter zum Wein. Gunther stand auf und erklärte das Turnier für beendet. Auf dem Hof der Pfalz und auf allen großen Plätzen der Stadt seien inzwischen Tische mit Speisen und Getränken aufgebaut worden, auch Ochsen am Spieß und was die Köche sonst noch ersonnen hatten; alle Wormser seien eingeladen, sich daran gütlich zu tun, und wenn sie dabei Frieden hielten und keine Händel begannen, sei er von Herzen froh.
Während die ersten Bürger begeistert losrannten, schritt Gunther mit Mutter und Kriemhild die Stufen hinab. Er beugte sich zu seiner Schwester und raunte ihr zu: „Ein Jammer, dass die jungen Leute nicht mehr wissen, was sich gehört. Du schienst mir sehr enttäuscht, Schwester.“
„Im Gegenteil! Ich bin erleichtert, dass ich nicht Hagen küssen musste. Der tut ja immer gradeso, als wär’s ihm zuwider! Ich bin auch nicht auf seinen Kuss erpicht, er ist ja leichenfahl und ein Eisklotz, aber ich tu wenigstens so, als machte es mir nichts aus! Doch er – er ist furchtbar unfreundlich.“
„Ah so. Aber ist es denn gewiss, dass er gerade dich gewählt hätte? Vielleicht gibt’s eine andere, die ihm mehr zusagen würde.“
Da war sie sprachlos.