Der König von Burgund und der Bastard, Kapitel 2

Blüten im Sand

Dieses Kapitel hat nur 1500 Wörter. Es gibt diesmal keine Anmerkungen.

Am Nachmittag drängten sich Tausende um den Turnierplatz, ganz Worms und Umland war gekommen. Die Frauen auf der Tribüne in ihren kostbaren Seidenkleidern, durchwirkt mit Gold- und Silberfädchen, mit Steinbesatz und Bernsteinschmuck, schillerten zart wie Libellenflügel.

Zwei Reiterscharen würden nun gegeneinander streiten und sich bemühen, die Ritter der Gegenseite bis zur eigenen Bande zu zerren, wie man bei der Schlacht den Feind ins eigene Lager schleifte. Als Preis fiele die Rüstung des Unterlegenen an den Sieger, aber nicht mehr das Ross. Gunther hatte es eigens so bestimmt. Zu viel Kummer und Bitterkeit hatte diese Sitte schon gesät, als dass er noch neuen Groll wachsen lassen wollte.

Die Scharen waren vom Los bestimmt worden; es fochten drum Männer des Erzbischofs von Mainz gemeinsam mit Vasallen des neuen Herzogs; königliche Ritter an der Seite der Bruchsaler, Speyerer neben Trierern. Auf glatte Rheinkiesel hatte man die Wappen aller Teilnehmer gemalt, sie in einen goldbestickten Seidenbeutel gegeben, aus dem Kriemhild nacheinander die Steine, ohne hinzusehen, herausgeholt hatte. Abwechselnd wurden die Männer den zwei Scharen zugeordnet. Volker von Alzey hatte ihr dabei geholfen, indem er für jeden Gezogenen einen kecken Zweizeiler zustandebrachte, der dessen Kühnheit, Klugheit und Stärke lobte oder sich auf Volkers letztes Zusammentreffen mit ihm im Turnier bezog – selbstredend nur, wenn Volker auch den Sieg davongetragen hatte. Das gefiel den Leuten ungemein. Kriemhild stellte sich derweil derart geschickt an, dass es nur Gunther auffiel, wie sie ein paar Steine nicht aus dem Beutel, sondern heimlich aus ihrem langen Ärmel zog. Währenddessen behielt sie den liebreizendsten Gesichtsausdruck bei.

Da wunderte es ihn nicht, dass er derselben Schar wie Hagen angehörte. Dass einige derer, die Gunther besonders ergeben waren, auf der Gegenseite ritten, kränkte ihn auch nicht sonderlich.

Unter dem Jubel der Menge trabten sie nun auf den Turnierplatz. Schon stob der weiße Sand auf. Gegen die Posaunen der Herolde bliesen wild entschlossen die Instrumente der fahrenden Spielleute an. Die Kämpfer trennten sich auf; jeder Gruppe schwebte eine Fahne voran, rot hier, blau dort. Damit man die Eigenen von den Widersachern unterscheiden konnte, hatte ein jeder sich ein gleichfarbiges Tuch um den Arm gebunden. Volker von Alzey hatte noch ein Sträußchen Blumen drin verknotet.

Die Schlachtrösser stampften herrisch und wehrten sich gegen die Zügel. Triumphator war der feurigste, wieherte schrill, tänzelte und fing sogar an, zu steigen. Hagen ließ ihn eine Weile gewähren, und wendete ihn erst, als er befand, dass seine Reiterkünste genug gewürdigt seien.

Ein Lanzenwald erhob sich auf der Gegenseite. Gunther hoffte nur, dass er nicht beim ersten Stoß zu Boden fiele. Beim zweiten bitte auch nicht – danach wär ihm alles gleich. Diese kleine Gnade könnte ihm der Herrgott doch schenken! Er hatte beim Anlegen der Rüstung eigens zehn Paternoster gebetet.

Die Zuschauermassen verstummten. Der Beginn war nahe. Ja! Ein Posaunenstoß zerriss die Luft. Betäubender Jubel stieg auf, rasch übertönt vom Rasen der Hufe. Die Gegner preschten heran; die Wimpel an den Lanzen flatterten. Schon senkte jeder die seine zum Stoß.

Gunther zielte auf Markgraf Eckewart, der aber nicht auf ihn, sondern auf Hagen. Eckewarts Lanze glitt an Hagens Schild ab. Gunther traf ihn gleichzeitig – schwungvoll genug, dass der Marktgraf wankte, aber nicht viel. Hagen hatte seinerseits auf den Mann neben Eckewart gezielt und ihn mühelos zu Boden geworfen. Hoch stiegen die Splitter, gingen nieder wie Regen. Später würden die hingebungsvollsten Zuschauerinnen sie vom ganzen Platz aufsammeln, zum Andenken an ein denkwürdiges Fest.

Die Rösser jagten bis zum Ende des Platzes; man zügelte sie und kehrte in weitem Bogen zurück zu den Knappen. Eilig die Ersatzlanze greifen, das Ross wenden, denn der Gegner würde nicht warten.

Auch beim zweiten Treffen blieb Gunther verschont vom Fall. Eine dritte Lanze gab es diesmal nicht. Er zog das Schwert. Kleine Grüppchen fochten miteinander vom Sattel aus oder kämpften zu Fuß. Schon wurden die ersten Unterlegenen, manche gar noch auf dem Ross, von einem oder zwei Rittern hinübergezerrt zur Bande.

Ein einzelner Reiter hielt auf Gunther zu. Gernot. Den hinderte keine Verlegenheit daran, den König als Gefangenen zu nehmen. Gunther gab Argentum die Sporen und ritt los, ihn zu empfangen mit eisernem Gruß. – Ein Reiter überholte ihn von hinten und griff Gernot an mit solcher Entschlossenheit, dass er zurückgedrängt wurde. Ortwin hatte ihn übereifrig gerettet. Das war ihm auch recht.

Doch schon nahte ein neuer Gegner. Wenigstens brauchte Gunther nicht tatenlos über den Platz zu traben, wie er es neben der Peinlichkeit des Versagens befürchtet hatte.

„Nehmt’s mir nicht böse, Herr, falls ich Euch überwinde!“, rief Volker von Alzey beschwingt. Er saß auf seinem kühnen Fuchs, hielt das Schwert so anmutig wie sonst den Fiedelbogen.

Ihre Klingen trafen sich. Es war ein harter Kampf. Natürlich gewann Gunther nicht; ihm wurde sogar die Waffe aus der Hand geschlagen. Mit dem Dolch kämpfte er weiter; plötzlich packte Volker Argentums Zügel und gab seinem Fuchs die Sporen. Argentum sträubte sich schnaubend und musste doch folgen. Gunther versetzte Volker mehrere verzweifelte Hiebe – da schoss wie ein schwarzer Raubvogel Triumphator heran.

„Nichts da!“, schrie Hagen gellend und ließ die Schildkante auf Volkers Arm niedergehen.

„Da ist der, den ich suchte!“, gab Volker zurück. „Verzeiht, Herr, doch gegen Euch kann ich nicht kämpfen wie ich’s vermag, ich will Euch immer schonen!“

Es begann ein Gefecht, das wohl als das beste ins Turnier einginge.

Gunther hielt sich höflich zurück, um Hagen nicht bei der Darbietung seiner Kampfkunst zu stören, und vertrieb bloß die übermütigen Jungspunde, wenn sie Volker von Alzey zu Hilfe eilen wollten. Wie Gezeiten wogte der Jubel der Menge.

Schließlich unterlag der Alzeyer. Auf eine Geste Hagens hin reichte er Gunther sein Schwert; daraufhin packte Hagen das Ross am Zügel und stürmte mit seinem Besiegten davon.

Gunther wandte sich nacheinander zwei Rittern zu. Die Fügung Gottes oder reines Glück ließen ihn beide Male gewinnen. Wie er seine Widersacher zur Bande schleifte, brachen die Knappen in Hochrufe aus. Einer seiner Besiegten, der aufrechte Ewald von Federstein, klopfte ihm gar auf die Schulter und rief: „Herr, da bin ich stolz auf Euch!“

Gunther wurde es unter dem Helm noch heißer von der Verlegenheitsröte.

Er galoppierte zurück ins Getümmel. Ha, da sollten die Weiber staunen; so, wie er heute kämpfte, konnten sie nicht mehr nur den schüchternen Weichling in ihm sehen. Er hielt Ausschau nach dem nächsten Gegner. Dort vorne! Oheim Godomar hielt entschlossen auf ihn zu. Schwer zu erringen wäre der Sieg gegen ihn – kurz sah Gunther sich um, wo sein Beistand herumflog – doch was war das? Eine Bewegung am Rande des Platzes, eine Gestalt in Grün huschte auf den Sand – Kriemhild! Was tat sie da? Wo die schweren Rufe flogen, hatte keine Frau herumzueilen! Er schrie ihr zu: „Bleib fort!“ Das Echo seines Entsetzens klang in tausend Kehlen.

Allein sie gehorchte nicht, sondern schritt weiter unerschrocken auf die Ritter zu. Gunther riss sein Ross herum.

So viele Gäule waren in ihrer Nähe, stampften, sprangen, keilten aus, mit genug Schwung in jedem Tritt, um einen Mann zu zerschmettern, erst recht ein Mädchen! Das ging nicht! Was seine Knappen wagten, durfte seine Schwester nicht tun! Er trieb Argentum zum wildesten Galopp.

Noch ehe er sie erreichte, schoss von der Seite Hagen heran, beugte sich im Galopp herab, packte Kriemhild und hob sie vor sich in den Sattel.

„Hol’s der Teufel!“, schrie er zornig. Sein Rappe blieb abrupt stehen, sodass der Sand bis hoch zu den Reitern spritzte.

Gunther hielt Argentum neben ihnen an. „Geht es um Mutter?“

„Das nicht.“ Kriemhild wischte sich den Staub aus dem Gesicht. „Die Freude hat zu versiegen. Ein Eilbote erreichte uns eben. Der alte Schwabenherzog ist tot. Untröstlich sind unsere beiden Gäste.“

„Oh weh“, sagte Gunther. „Aber warum bist du auf den Platz gerannt? Dich hätten die Gäule niedertrampeln können.“

„Unsere Herold hielten es für besser, den Buhurt nicht zu unterbrechen. Ich dagegen schätze es, wenn Burgund Anteilnahme zeigt, statt sich in jungenhafter Ausgelassenheit zu üben.“

Gunther nickte. Direkt hinter der hölzernen Absperrung standen nun die Edeldamen, Mutter zuvörderst, hatten die Tribüne verlassen und sahen besorgt zu Kriemhild herüber.

Vorwurfsvoll deutete er mit dem Finger auf seine Schwester. „Trotzdem war es gefährlich.“ Er wandte sich um, reckte das Schwert zum Himmel und rief um Ruhe. Manche hatten den Aufruhr bemerkt und das Gefecht schon unterbrochen; sie halfen nun, die anderen Kämpfe zu beenden.

Nach kurzer Zeit waren Geklirr und Geschrei erloschen; es wisperte nur ein Echo davon im erschöpften Gehör weiter, und aus den Reihen der Menge rollte bloß noch besorgtes Geraune.

Gunther sah abwechselnd von den Zuschauern zu seinen Männern hinüber, während er ihnen knapp die neue Kunde überbrachte. „Ein würdiger Herrscher war Herzog Burchard“, rief er laut, „unser verehrter Nachbar und Freund. Wir wollen ihm zum Gedenken den Frohsinn nun in Schweigen hüllen, den Überschwang vertauschen mit Abschiedsschmerz, und unsere Gebete inniglich nach Süden senden, damit ihm der Preis der Ewigkeit leuchten soll – und unserem geliebten Nachbarreich der Frieden und die Ordnung.“ Weil es ihm geboten schien, wandte er sein Ross in dieselbe Richtung und nahm den Helm ab als letzten Gruß.

Seine Ritter taten es ihm gleich, schweigend ein jeder. Kriemhild löste behutsam die Blumen aus ihrem Haar und ließ sie sacht zu Boden fallen. So kam das Fest zu seinem Ende.