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Der König von Burgund und der Bastard, Kapitel 3

Ihr seid nur alle Schachfiguren

Dieses Kapitel hat fast 5000 Wörter, also wieder ein langes. Es ist in mehrere Abschnitte gegliedert. Nach dem ersten Abschnitt findet ein Perspektivwechsel von Gunther auf Hagen statt.
Am Ende stehen wieder Anmerkungen.

Nach vier Tagen schon brachen sie auf. Ein Fünftel der burgundischen Ritterschaft zog mit ihnen ins Schwabenland. Das Heer war klein genug, um die Furcht fremder Fürsten vor burgundischer Übermacht zu zerstreuen, und groß genug, um bei einer Schlacht zwischen den Anhängern der Herzogin und ihren Widersachern Burgunds bevorzugter Partei den Sieg zu gewähren. Gernot und Onkel Godomar waren in Worms geblieben, um dort die Herrschaft auszuüben.

Den Boten hatte Gunther schon vorausgeschickt; auf diesen Eilritt konnte der Mann seine Gattin jedoch nicht mitnehmen. Sie durfte weiter am Rhein verweilen und sich des falschen Triumphs erfreuen, einen König in ihre Intrigennetze eingesponnen zu haben.

Meist ritt Gunther mit der Vorhut. Er trug Sorge, dass in jedem Dorf angehalten und den Bauern verkündet wurde, wer durch ihre Gefilde kam. Während der Herold mit geübter Stimme von Burgunds Freundschaft und Nachbartreue sprach, saß Gunther auf seinem ungeduldig scharrenden Fuchs und blickte in die Runde mit demütiger Verlegenheit, als wäre er fast schuldbewusst ob seiner Macht und Pracht. Seine Ritter umgaben ihn, kühn und nahbar, die Schützer von Armen, Witwen und Waisen; milde zu den Gutherzigen, unbarmherzig nur zu den Bösen. Den Frauen fiel es nicht schwer, sich an ihnen festzuschauen; sie sahen tagein, tagaus nur die braungebrannten, frühzeitig furchigen Gesichter ihrer bäuerlichen Männer, bückten sich den Rücken rund, um deren grobe Kleidung zu waschen, und konnten ihre Stimmen am Ende jedes Winters nicht mehr länger mitanhören. Darum war ihnen ein weißhäutiger Edelmann mit steinbesetztem Mantel und Bescheidenheit, die der Stärke entsprang, eine fesselnde Abwechslung. (Bis auf Hagen, dessen Stolz ihm gebot, mit dem lauernden Selbstbewusstsein eines Adlers auf die einfachen Leute herabzuspähen.)

Nachdem der Herold geendet hatte, wandte Gunther sich jedes Mal seinen Fürsten zu und sagte ruhig, doch wohl belauscht: „Wie bieder und fleißig diese Leute sind! Fünf Dörfer wie dieses sind ein Diadem, eine Zierde für ihren Herrn.“ Und an die Dörfler gerichtet: „Zum Angedenken an den seligen Herzog Burchard, der mich und mein Reich stets väterlich im Herzen trug, will ich euch Bauern ein Geschenk geben. Ich muss euch nicht raten: ‚Nutzt es klug‘, denn Bedachtsamkeit ist aller Schwaben Erbtugend. Nehmt es, spendet eurem Herzog ein paar fromme Gebete, und bleibt weiter brave Untertanen seines Sohnes.“

Er ließ sich einen Beutel mit Münzen reichen, legte ihn dem ältesten Greis des Dorfs in die Hand, und gab das Zeichen zum Aufbruch. Damit gewann er sich stets auch das Wohlwollen der schwäbischen Männer.

Im Abstand von ein, zwei Stunden folgte ihnen das Heer. Ein jeder musste genau auf den Wegen bleiben; keinen noch so winzigen Gerstentrieb sollten die Schwaben wegen burgundischer Hufe beklagen müssen.

Nach drei Tagen kehrten sie zum ersten Mal bei einem schwäbischen Adligen ein. Wie Gunther mit seinen Getreuen in den Hof ritt, stand der Graf schon bereit. Er begrüßte sie mit unverbindlicher Miene, hinter der jedoch jeder, der Menschen zu lesen wusste, den gequälten Unmut erkannte.

„Welch edle Gäste für mein bescheidenes Heim“, sprach der Graf, „hätt’ ich zuvor gewusst, dass ein König mir die Ehre seiner Anwesenheit gönnen wird, hätt’ ich Vorkehrungen getroffen, die Burg geschmückt, die Küche bestückt mit den vorzüglichsten Früchten des Landes – so aber steht mein Haus im schnöden Werktagskleid vor euch, die Späne der Arbeit belästigen Euren Blick, und meine Speisekammer hält kaum Bess’res als jede Bauernkate bereit. Ein geiziger Wirt muss ich sein, der doch allzu gerne der großzügige wär!“

Gunther nickte verständnisvoll. „Das weiß ich zu schätzen. Allerdings ist es nicht meine Absicht, Eure Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen; wir wollen heute noch einige Meilen zurücklegen und hielten nur an, um Euch unsern Gruß zu entbieten, wie es sich für die Landfremden gebührt.“

Die Sonne der Erleichterung erstrahlte auf dem Gesicht des Grafen. „Das ist ja schade!“, entrang sich ihm wie ein Stoßseufzer; versöhnt fügte er hinzu: „Wenn das so ist, will ich Euch doch wenigstens zu einem Becher Bier einladen, denn schließlich kann ich einen König und sein Gefolge nicht ohne Labung wieder fortschicken wie einen Bettler.“

Gunther hob die Rechte nur ganz leicht, und Hagen neben ihm ließ die Empörung wieder verglimmen. Man braucht nicht jedes Wort eines Provinzgrafen auf die Goldwaage zu legen.

„Das Angebot nehm ich gerne an“, sprach Gunther, „unter der Bedingung, dass Euer Gesinde sich nicht so viele Umstände mit uns mache. In einer halben Stunde wollen wir wieder aufbrechen.“

Das hörte der Schwabe gerne. Emsig trugen die Knechte zwei zusätzliche Tische in den Saal der Burg, und in staunenswert kurzer Zeit war schon jedem ein Becher Bier gereicht. Auch die Hausherrin und ihre Tochter waren herbeigerufen worden und saßen bei den Gästen.

Ein Rossknecht, der sich eilends ein neues Gewand übergezogen hatte, musste die Gesellschaft mit Musik erfreuen, denn er sei von seinen Leuten der einzige mit einer annehmbaren Stimme, und – das sagte der Graf mit übertriebenem Bedauern – fahrendes Volk suche ihn ja allzu selten auf. Nun trällerte der Junge im Hintergrund die immer selbe Strophe eines Lieds über schwäbische Straßen; er glich dabei einem eingesperrten Vogel, der um alles in der Welt entfliehen wollte.

Nach einer Weile erhob sich Volker von Alzey, näherte sich tänzerisch der Gräfin und ihrer Tochter und verbeugte sich vor ihnen. „Erlauben die Schöngeister der Burg, dass ich als Spielmann ihnen ein Lied widmen darf?“

Die Grafentochter beantwortete sein Blinzeln mit schüchternem Kichern; die Gräfin rief: „Ich bitte darum!“

Volker trat zum tapferen Rossknecht, wartete höflich, bis er seine Strophe beendet hatte, und raunte ihm dann den erlösenden Wunsch der Gräfin zu. Von seinem Knappen ließ er sich die Fiedel reichen, spielte die Weise einmal vor, und hub dann an zu singen von einer zarten Nachtigall und ihrem Feind, dem Raben.

Atemlos lauschten die Frauen. Der Graf blickte liebevoll zu Gattin und Tochter hinüber. „Wie bin ich froh, dass mein Mädchen noch unter uns Lebenden weilt“, raunte er Gunther zu. „Sie wäre letztes Jahr beinahe einer Lungenentzündung erlegen, das arme Kind!“ Seine barschen Züge wurden weicher.

„Ich nehme an, dass die Genesung langwierig und mühselig war?“, fragte Gunther.

„Gott sei mein Zeuge“, seufzte der Schwabe, „sie ist bis heute noch nicht ganz wiederhergestellt.“

„Mein Herr – und seine Mutter, die verehrte Königswitwe – sind wohlbewandert auf dem Feld der Heilkunde“, sagte Hagen. „Sie wissen bestimmt ein Mittel zur Abhilfe. Nicht wahr, mein König?“

„Da wär ich Euch von Herzen dankbar!“, sprach nun auch die Gräfin, die wie alle Frauen zwei Dingen zugleich lauschen konnte, „ja, ergeben wär ich euch mehr als unserm Herzog, dem alten wie dem Jungen!“

Dem armen Kind musste unbedingt geholfen werden! Gunther schickte sogleich seinen Knappen, dass er von einem der Packpferde die Schatulle mit den Arzneien hole. Mit dem Schlüssel – er trug ihn, seit sie losgezogen waren, stets bei sich; hatte er doch in seinem Leben schon oft genug erfahren, dass man ihm unbemerkt böse Substanzen untermischen wollte – öffnete er sie behutsam. Es waren zwei Dutzend tönerne Tiegel darin, mit Salben oder Pulver für alle Gebrechen, die einen auf der Reise befallen könnten: gegen Fieber und Kopfschmerzen, gegen Muskelschmerzen, Kraftlosigkeit, und vieles mehr. Manche hatte Mutter gemischt, manche hatte er selber in nächtlicher Stunde bedachtsam hergestellt. Er wählte drei aus, die helfen sollten, so viel es die Kraft der Pflanzen vermochte, und erklärte der Gräfin, wie sie einzunehmen seien und welche Gebete dabei besonders hilfreich waren.

Als sie im Hof wieder Abschied nahmen, floss die Gräfin vor Tränen über; der Graf umarmte ihn dreimal und beteuerte, er sei zwar Schwabe von Abstammung und Lehnseid her, aber seine Treue gehöre nun auf ewig dem König von Burgund.

Neuer Abschnitt ab hier:

Nichts gab größeren Triumph, als die Ordnung der Welt zurechtgerückt zu sehen. Hagen von Tronje war fortan der zweitmächtigste Mann des Reiches. Die einstige Geisel hatte sich erhoben aus dem Staub der Hunnensteppen, aus weisen Lehrstunden zur Führung eines Landes, aus dreiundzwanzig Schlachten und Jahren voller Bitterkeit.

Am Tag seiner Belehnung hatte alles Leid einen Sinn erhalten, denn jede Stunde Elend war notwendig gewesen, um ihn in Form zu gießen, alle Qualen hatten ihn gestählt – der Schmerz hatte ihn zu dem gemacht, der er sein sollte: der beste Diener für seinen König.

Sein König mit der Taubenseele brauchte einen Beschützer. Gunthers schwankende Klugheit, die jede Entscheidung schreckte, brauchte einen Mann, der ihm die Verantwortung abnahm. So wie man das Herz nicht ohne Rüstung den Feindesklingen entgegenreckte, sondern es hinter einem Schild verbarg, so brauchte Burgunds sanfter König einen Kämpfer, der ihn vor den Angriffen schirmte, der Gefahren, Vorwürfe und alle Hässlichkeiten der Herrschaft auffing wie der Schild die feindlichen Pfeile.

Die Pferde trabten zügig über die Straßen hin. Er erlaubte sich ein kurzes Lächeln, als keiner hersah. Die Macht gefiel ihm, schmeckte süß wie Rheinwein und passte ihm wie ein maßgeschneidertes Gewand. Wenn seinen Befehlen Gehorsam folgte, eilfertig und rasch wie der Bergbach dem Hang; wenn seine Missbilligung gefürchtet war wie das Anathema; wenn die Bewunderung der Braven, die Furcht der Feigen, der Gram der Neider und die ratsuchenden Bitten seines geliebten Herrn ihn allesamt umgaben, dann stand er stolz und genoss Ansehen wie Feindschaft gleichermaßen, waren doch beide die Insignien der Fähigen. Manchmal stellte er sich vor, wie es wäre, wenn die Dinge anders verlaufen wären, sodass statt seiner nun Dankwart an Gunthers Seite stünde, oder sonst jemand, jeder, nur nicht Hagen: Da fühlte er die Welt wieder aus den Fugen springen. Es war gut und richtig, dass er der Herzog war, und  – das war ihm wohl bewusst – für einen König Gernot oder Gibich wär er nicht der richtige. Er hätte ihnen auch nicht dienen wollen. Sein Herr hieß Gunther, in vita et in morte.

Vor ihnen erhob sich die Schwäbische Alb. Es ragten keine steilen Gipfel empor, nur waldige Höhen reihten sich aneinander in grüner Kette. Sie hatten bisher fünf Grafen getroffen, jedem von ihnen den Aufwand und die Kosten einer Übernachtung erspart und alle in freundlicher Gesinnung zurückgelassen.

Auf einem Bergsporn erhob sich die nächste Burg, beschützt von einer Buckelquadermauer und einem Graben an der einzig zugänglichen Seite. Der Turm jedoch war arg beschädigt, und Hagen glaubte sogar ein Gerüst zum Wiederaufbau an einer Seite auszumachen. Die Kuppe des gegenüberliegenden Bergsporns war kahlgehauen und zerfurcht. Schanzen zeigten an, wo die feindliche Blide gestanden hatte.

Der schwäbische Graf empfing sie mit soviel Herzlichkeit, wie ihm bei seinem offenbar grimmen Temperament möglich war. Auf die Fragen seiner Gäste hin schilderte er bereitwillig, wie er den Belagerer getrotzt hatte bis zum Eintreffen von Entsatz. In der Schlacht, die daraufhin entbrannte, hatte er fünf Feinde überwältigt. „Was aber nützt mir nun der Ruhm? Er baut ja meinen Turm nicht wieder auf!“

Der Graf war allerdings gastlicher als sein Nachbar im Norden: Er bot dem burgundischen Gefolge statt Bier immerhin Wein an. Dann bat er Gunther und Hagen auf ein kurzes Gespräch in seine Kammer.

„Herr vom Rhein“, sprach er, als sie Platz nahmen, „Ihr wollt also entscheiden, welcher Partei der junge Herzog zur Erziehung übergeben werden soll?“

Gunther erwiderte mit sanfter Miene, dass er keineswegs zu entscheiden kam, sondern zu raten und zu vermitteln. Hagen betrachtete derweil die harten Züge des Grafen, die Schwerter an der Wand hinter ihm und die zerhauenen Schilde.

Der Graf lehnte sich vor und senkte die Stimme. „Ich hoffe doch, dass Eure Vermittlung der richtigen Partei zum Sieg verhilft. Es geht um Schwabens Zukunft, ob sie leuchte oder dahinwelke.“ Er verstummte, harrte einer Antwort mit wölfischem Lauern.

„Dessen könnt Ihr gewiss sein: dass der König von Burgund stets das Richtige entscheidet“, sagte Hagen.

Der Graf lehnte sich zurück, unzufrieden ob der nichtssagenden Antwort. Hagen würde ihn aber schon für Burgund gewinnen. „Ihr habt in vielen Schlachten gefochten?“, fragte er den Graf.

„In acht.“

Hagen hob anerkennend seinen Becher. „Der Krieg ist der größte aller Lehrmeister. Ich würde keine einzige meiner Schlachten verpasst haben wollen. Man wird doch erst im Angesicht des Feinds zum Mann.“

Das erfüllte den Grafen mit Lebhaftigkeit. „So ist’s! Wer nicht ein Schlachtfeld getränkt hat mit fremdem Blut und mit dem eig’nen, der kennt das Leben nicht, ist einfältig wie ein Lamm.“

„Ich kenne keinen Träumer und Taugenichts, den blanker Stahl nicht zurechtgeschliffen hätte“, sagte Gunther.

„Eben!“, rief der Schwabe aufgeregt und schlug auf den Tisch, „und da soll unser armes Schwabenland die nächsten acht Jahre von einem Weib geführt werden?“

Hagen hob den Zeigefinger mit Schwung und rief, sich derselben Emphase wie der Graf bedienend: „Mag ihre Hingabe an Sohn und Land auch untadelig sein – sie bleibt doch unerfahren, unwissend und waffenlos. Weiber können, das gestehe ich ihnen zu, Listen ersinnen, sich mit Tücke Vorteile und Verteidiger gewinnen, Verbündete heranlocken und Kriege entfesseln, aber die Härte und Kühnheit eines Mannes geht ihnen ab, deshalb müssen sie zwangsläufig straucheln im Falle größter Gefahr.“

„Genau!“, fiel der Schwabe ein, „Ihr seht es ganz richtig, Herzog! Bei aller Verehrung für die Weiberschaft – sie haben an der Spitze eines Reiches nichts verloren! Was wäre mit uns, wenn ein Krieg ausbräche? Sollen wir auf Befehl einer Frau zu den Waffen stürmen, auf ihren Wink hin Frieden schließen?“

„Der Vater aller Dinge hat nur Söhne, keine Töchter“, sprach Gunther bedachtsam.

Der Schwabe kannte seinen Heraklit nicht und nickte umso eifriger, um es zu verbergen.

Hagen sagte: „Und wie soll aus dem jungen Herzog ein rechter Mann werden, wenn er allzeit weiblichem Einfluss ausgeliefert ist? Ein Knabe braucht die Führung ehrlicher Männer, sonst wird er verweichlicht und schwach, kaum stärker als seine Schwestern! Ich selber hab’s erfahren, im Hunnenland: Mich hemmte eine unselige Neigung zu Geistesdingen, ich war mehr der Feder als der Klinge zugetan, aber der Hunnenkönig hat mich in die Schlacht geführt – da begriff ich, was allein die großen Fragen der Welt entscheidet: Kühnheit und Selbstzucht, Mut und Eisen!“

Der Schwabe hielt nicht mehr an sich, hämmerte nun mit beiden Fäusten zugleich auf die Tischplatte. „Das sag ich auch, das sag ich immerzu! Der Junge gehört in die Hände von Männern, nicht in die weichlichen Mutterarme! Er soll uns einst als Kämpfer und Sieger vorangehen –“

„So wie mein Herzog dem Heer und dem Reich“, sagte Gunther nebenbei.

Der Graf schüttelte bekräftigend den Zeigefinger und rief: „Ganz recht! Er soll ein Mann sein, zu dem Männer aufblicken!“

Ihre Verabschiedung war weitaus wärmer als das Willkommen.

Wie der Graf Hagen die Hand gab, raunte er ihm zu: „Gute Reise! Mein Herz ist voll Vertrauen, dass Ihr die richtige Partei stützen werdet, und Schwaben wird’s Euch immer danken.“

Neuer Abschnitt ab hier:

Nach vier Tagen erreichten sie den Südrand der Alb. Auf einem Bergsporn schlugen sie das Lager auf. Unter ihnen schlängelte sich die Donau dahin, und gegen Süden erstreckte sich flaches Land, nur von kleinen Dörfern gesprenkelt, bis es mit dem Horizont verschmolz. Während die anderen noch die Aussicht lobten, ließ Hagen den Blick über den Bergvorsprung schweifen: Er war flach und bot genügend Platz für eine Siedlung. Kein Feind, und wäre er noch so kühn, würde es wagen, die steilen Hänge erstürmen zu wollen; nur von Norden aus war das Areal erreichbar. Sonderbar, dass hier niemand, nicht einmal die Altvorderen, eine Stadt gegründet hatte.

In den Abendstunden traf auch das Heer ein. Feuer wurden entfacht, Ochsen drehten sich am Spieß, Lieder wurden angestimmt. Volker beklagte bei jedem neuen Sänger dessen mangelndes Kunstverständnis, und wie Hagen schließlich schulterzuckend murmelte, für ihn klänge ohnehin alles einerlei, nannte Volker ihn einen Barbaren der Musik. Ja gut – was nicht falsch war, wollte er nicht leugnen.

Mit Gunther sann er eine Weile darüber nach, warum dieser Ort nie besiedelt worden war; Gunther sagte bedächtig, es müsse hier irgendwo das reiche Pyrene gelegen haben, ein mächtiges Handelszentrum, von dem selbst die Griechen berichtet hatten. Inzwischen waren aber alle Spuren längst verschwunden, und das Rätsel um seine Lage würde wohl nie gelöst.

Der nächste Morgen brachte dem Lager Unruhe und Aufruhr. Laute Stimmen rissen Hagen aus dem Schlaf: „Seht nur, seht!“, rief es von überall, und er verabscheute böse Überraschungen am frühen Morgen. Nicht einmal seine törichten Knappen waren da, nutzlose Dummköpfe. Er warf hastig das Gewand über, schnallte sich Schwert und Dolch um und eilte hinaus. Die ersten drei Männer, die er barsch fragte, was los sei, wussten von nichts, aber gingen unverdrossen den andern nach.

Er fluchte leise. Wie er das hasste, wenn er nicht Herr der Lage war! Dann folgte er zügigen Schrittes.

Am Rande des Abhangs drängten sich die Leute, deuteten aufs Land hinaus und schienen mehr ergriffen denn argwöhnisch.

Er trat neben Gunther. Der sagte mit seiner üblichen Sanftmut: „Einen guten Morgen, Herzog.“

„Sofern ein Morgen gut sein kann. – Was ist gescheh’n? Kommen die Schwaben?“

Gunther löste den Blick erst jetzt vom Horizont und schaute stattdessen Hagen an mit treuem Mitgefühl. „Gottes Schöpfung bewundern wir. Man sieht die Alpen.“

Ach so. Er kniff die Augen zusammen, konnte jedoch trotzdem nichts erkennen. Es musste an seiner verdammten blassen Haut liegen, dass er in der Ferne schlecht sah. Tausendmal hatte er das schon vermutet.

Gunther neigte sich leicht zu ihm. „Sie sind schneebedeckt, kühn zerklüftet und ziehen sich“, er vollführte eine Geste, die fast den ganzen Horizont vor ihnen umfasste, „von da bis dort.“

Das Heer einer der schwäbischen Parteien wäre Hagen lieber gewesen – dann hätte er mit seinen Intrigen fortfahren können. Gunther dagegen war von Ehrfurcht erfüllt. „Auf einmal ist die Welt klein geworden, hat mir das weite Land gezeigt, das sonst nur mutige Pilger kennen, ja, ich fühl mich wie ein wahrhaft willkommener Gast, für den man die schönsten Kostbarkeiten hervorgeholt hat! Und alle da unten scheinen wie meine Brüder und Schwestern, vereint unter Gottes Juwelenhimmel. Da, da glänzt ein See! Nicht einmal der? Oh. Weißt du, was ich noch denke? Es ist, als ob der Horizont uns einlädt, ihn zu besuchen. Die Fremde soll uns bekannt werden, die Ferne will uns begrüßen. Und hinter den Bergen, ach, mir ist’s, als wär ich fast schon dort: liegt das ewige Rom und der Papst!“

Eine Stunde später kehrten zwei vorausgeschickte Boten ins Lager zurück. Sie meldeten, dass die Herzogin und ihre Gegner nunmehr die Heerscharen versammelt hatten. Die Großen des Herzogtums waren bereit, ihren jungen Herrn mit Waffengewalt aus der Obhut der Mutter zu befreien; die Herzogin schien den Kampf jedoch zu scheuen und entwich den Bewegungen ihrer Feinde in weiten Zügen. Vor einigen Tagen hatte sie vor Ulm gelegen, hatte sich dann nach Süden aufgemacht und näherte sich nun schon Konstanz. Die Fürsten rückten von Altdorf heran.

„Sollen wir ihnen entgegenziehen?“, fragte Gunther besorgt. „Ich will nicht, dass sie doch noch eine Schlacht wagen. Ein schlechter Schlichter wär ich, wenn ich das zuließe.“

Ein paar der Fürsten nickten dazu. Hagen aber riet dagegen: „Das ist allzu unwahrscheinlich; da die Parteien gleich stark sind, wissen sie sehr wohl, dass Niederlage und Sieg beinahe dasselbe kosten müssten. Bleibt hier an diesem Ort, hoch über dem Streit in der Ebene, und wartet, dass sie zu Euch kommen. Denn mehr noch als Schlichter seid Ihr König und habt das noble Recht, ihre Ehrerbietung zu empfangen.“

Sein kluger Herr stimmte ihm daraufhin zu.

Eine Woche lang verweilten sie auf dem Bergsporn am Rande der Alb. Bald schon erfreuten sich nur noch die empfindsamen Gemüter, wenn bei klarer Luft die Alpen aus dem Horizont traten; den schnörkellosen Naturen war es rasch einerlei geworden. Die Sonnenuntergänge prangten jeden Abend verschwenderisch in allen Farben des Feuers, wie ein gefahrloses Abbild von Untergang und Vernichtung.

Nach sieben Tagen sah man das Heer der Herzogswitwe heranziehen. Zwei Boten hatte sie losgeschickt, um den Ablauf des Zusammentreffens abzusprechen. Die Boten verlangten schamlos, Gunther solle dem Weib fünf Schritte entgegengehen, und sie ihm genauso viele!

Volker von Alzey, dem die Planung des Begegnungszeremoniells oblag, wollte tatsächlich einwilligen!

Ein Glück, dass Hagen hinzugekommen war; nun konnte er diesen Unfug verhindern.

„Ich hoffe, mich verhört zu haben“, sagte er zu den Schwaben mit einem Tonfall, dessen übersanfte Freundlichkeit ihnen Falten der Verwirrung auf die Stirn trieb, „denn es geht nicht an, von einem König zu verlangen, dass er einer Herzogsgattin – einer verwitweten – dieselbe Ehre gönnt, wie sie ihm zu zollen geneigt ist. – Nein, das könnt Ihr nicht verlangt haben. Es muss mein Irrtum sein.“

Die Schwaben schwiegen, warfen einander unwillige Blicke zu und flehten wohl jeder insgeheim, dass der andere etwas zu erwidern wage.

„Sieben Schritte darf die Herzogin meinem Herrn entgegengehen, und er kommt ihr mit drei entgegen“, sagte Hagen großzügig.

Der Alzeyer stand neben ihm, blickte offenbar unbeteiligt zu Boden und konnte doch das verschmitzte Lächeln nicht verbergen.

Einer der Schwaben fasste Mut. „Mit Verlaub, und mit aller gebührenden Hochachtung für Euren König – aber sieben und drei sind nicht annehmbar für uns. Bedenkt, dass er als Vermittler zu uns kommt, nicht als ein Lehnsherr!“

„Bedenkt, dass mein Herr gesalbt und gekrönt ist, dazu schon in Schlacht und Zweikampf Sieger war. Es ist keine Herabsetzung Eurer Herrin, wenn ich verlange, dass Ihr dem König gebt, was ihm gebührt; es ist die Würdigung des Höherrangigen, die Euch obliegt und die Ihr verweigern wollt.“ Er zog einen Stuhl her und setzte sich, wobei er Wert darauf legte, dass sein kostbar besetztes Schwertheft nicht vom Faltenwurf des Umhangs verdeckt war. Er wies den Boten ebenfalls einen Platz an, auch Volker, und hieß Volkers Knappen, ihnen einzuschenken.

Die Boten murmelten ihren Dank; derjenige, der vorher geschwiegen hatte, schien jetzt nicht mehr zurückstehen zu wollen. Feigling sein war keine Zier. „Edler Herzog, doch drei und sieben – wisst Ihr, obwohl unsere Herrscher keine Könige waren, steht unser Land hinter dem Eures Herrn nicht weit zurück, ist nicht viel kleiner, und unsere Krieger sind ebenso kühn wie die von Burgund!“ Während der Stunden im Kronrat hatte Hagen erkannt, dass schon seine Reglosigkeit allein die Leute einschüchterte; wenn er dann noch mit dem Blinzeln aufhörte, seinen kalten Blick keinen Moment lang unterbrach, brachte das die Leute völlig in Verunsicherung. Er hatte schon die beredtesten Boten damit zum Stottern und Stammeln gebracht. Auch jetzt zeigte diese Angewohnheit Wirkung: Der Schwabe geriet in Aufregung, sah mit raschem, kleinem Kopfnicken zweimal zu seinem Gefährten hinüber, ob der ihm Hilfe geben könnte, und murmelte dann gepresst: „Doch Ihr seid selbstverständlich der allerkühnste, Herzog.“

Hagen verzog keine Miene, sondern nahm die Aussage mit der knappsten Verneigung zur Kenntnis. „Drei und sieben also, besten Dank“, sagte er. Er streckte die Hand aus. Der eine Bote lehnte sich vor, als schien es ihm geboten, einzuschlagen.

Volker sagte plötzlich: „Man darf natürlich nicht vergessen, dass die Herzogin unlängst den schlimmsten Schicksalsschlag im Leben einer Frau erlitten hat, den Verlust des Gatten.“ Was tat er da? Er sprach zu Gunsten der Schwaben? „Um sie in ihrem Leid zu ehren, ist unser guter König gern bereit, ihr einen weiteren Schritt entgegenzugehen.“ Warum zum Teufel glaubte Volker von Alzey entscheiden zu können, was Gunther bereit war zu tun? Für wen hielt er sich?

„Unser guter König hat aus Mitgefühl zehn Messen für den hingegangenen Herzog lesen lassen – im Dom St. Peter!“, fuhr Hagen auf. „Er braucht sein Beileid nicht zu beweisen, er tat schon genug – was Ihr, verehrte Boten, sicherlich zu schätzen wisst.“ Zu heftig, zu heftig! Milder fügte er hinzu: „Und selbstredend wird er bei der Begrüßung noch einmal in gütigen Worten seinem Bedauern Ausdruck verleihen. – Drei Schritte, dabei bleibt es.“

Ein gequälter Blick wechselte zwischen den Boten hin und her, gefolgt von einem kaum merklichen Nicken.

„Außerdem“, rief Volker und breitete die Arme über der Rückenlehne des Stuhls aus, „ist es in der heutigen Zeit die Freude eines jeden Ritters, den Damen seine Hochachtung zu zeigen. Unser König Gunther, ein Muster an Höfischheit, würde Eurer Herrin, wär er nicht selber Herrscher, gar liebenswürdig aus dem Sattel helfen; so aber offenbart sich seine Ritterlichkeit in den vier Schritten, die er der edlen Witwe entgegenkommt. Vier Schritte sind es, nehmt mein Wort.“

War er denn von Sinnen? Was sollten die Boten denken, he? Ja, Hagen spürte genau, dass sie die gebührende Ehrfurcht vor ihm ablegten; Oh, der Tronjer droht nur, doch er wagt nicht zu beißen, dachten sie gewiss! Törichter Volker! Was ritt ihn, dass er die Stimme des mächtigsten Fürsten untergraben wollte! – Hagen konnte nicht erneut widersprechen, sonst machte er sich zum Gespött. Retten, was zu retten war.

Er nahm sich zusammen, passte auf, dass seine Gesichtszüge nichts von seinem wahren Seelenzustand verrieten, und sagte streng: „Das ist eine der außergewöhnlichsten Eigenschaften meines Königs: Er räumt stets der Bescheidenheit den Vorrang vor der Tradition ein; so demütig trägt er die Krone, dass er die Ehren, die ihm zustehen gemäß Sitte und Ordnung, stets mild und huldvoll mit jenen teilt, deren Ehrung er entgegennehmen sollte. Vier Schritte von ihm, und sechs von der Herzogin.“

Die Boten nahmen draufhin eilends ihren Abschied. Sie befürchteten wohl, Hagen ändere seine Ansicht wieder? Das täte er allzu gern, allein der Alzeyer würde ihm erneut dazwischenfahren.

Volker geleitete die Boten hinaus. Kaum war er wieder eingetreten, warf Hagen die eisige Starre ab wie den schwergewordenen Schild nach der Schlacht. „Warum zum Teufel fallt Ihr mir in den Rücken, Graf? Wie Ihr mich vor den Fremden bloßgestellt habt, sollte ich Euch zum Gefecht herausfordern! Ihr könnt mit mir nicht derart verfahren – ich bin der Herzog!“

Volker zog es vor, erst zu schweigen. Er hob seine Hand mit dem gräflichen Siegelring und betrachtete sie.

Unerhört, unerhört! „Sprecht!“

„Oh weh, ich bin enttäuscht von Euch. – Kommt Ihr wahrlich nicht selber drauf, warum ich nicht emsig nickend Eure Forderung mit dem Lorbeer meines Beifalls bekränzte?“

„Nein, das kann ich mir nicht erklären.“

Volker nahm sich gar heraus, zu lachen. Für wen hielt er sich? Hagen ballte die Fäuste.

„Wisst Ihr, Herzog – schon seit zehn Jahren – da wart Ihr sechs, nicht wahr? Nein, fünf, fünf! Schon seit zehn Jahren obliegt mir die Pflicht, die Zusammentreffen des Königs mit anderen Herrschern im Verein mit deren Leuten zu planen, und meine Pflicht, die erfüllte ich allzeit zur Zufriedenheit meiner Herren. Doch auf einmal soll ich ahnungslos und tumb durch die Jahre gestapft sein, von keinem Gedanken je beschwert, ein Stümper reinster Sorte, und wär ohne die ungestüme Anleitung durch einen landfremden Jüngling hilflos verloren wie der Käfer auf dem Rücken? Nein, mein lieber Herzog, dem ist nicht so.“

„Und weil Ihr Euch von meiner Anwesenheit gekränkt saht, hieltet Ihr es für angemessen, Euren Trotz an unserem König auszulassen? Er ist’s, der nun einem Weib mehr Ehre angedeihen lassen muss, als ihr zukommt! Ein solches unwürdiges Verhalten hätt’ ich von Euch nicht –“

„Seine Ehre wird es verkraften“, sagte Volker. „Vier Schritte sind keine Zumutung; im Übrigen ließ er mir für alle Aufgaben des Zeremoniells völlig freie Hand. Noch vor seiner Krönung war das – also vor Eurer Zeit bei Hofe.“

Hagen hielt nicht länger an sich, die Wut musste heraus. „Aber vor den Boten habt Ihr mich gedemütigt! Als hätt’ ich’s nicht schon schwer genug mit meinem Alter und meiner Vergangenheit bei den Hunnen!“

Volker kam heran, klopfte gar seine Schulter, als wäre Hagen ein schäumender Gaul – verdammter Kerl – und sagte versöhnlich: „Aber ich trag’s Euch nicht nach, denn ich hege die Hoffnung, dass Ihr einsichtig seid. Ein and’rer freilich hätte Euch eine solche Einmischung nicht vergessen. Denn der Groll über den, der unsere angestammten Pflichten besser zu erfüllen meint als wir, wär unsterblich, wenn nicht die Menschen sterblich wären. Drum sag ich’s Euch im Guten: Ihr seid zwar Herzog und Etzels Bezwinger, klug und stur, mögt vieles besser machen als die meisten – doch wo die menschliche Eitelkeit Grenzen zieht, da könnt nicht einmal Ihr hindurchstürmen, ohne dass Ihr Euch zum ungerechten Angreifer macht. Denkt drüber nach, Ihr werdet sehn, ich habe Recht.“

Er wandte sich um und ging hinaus. Hagen stand eine Weile lang im Zelt und ärgerte sich. Als sich die erste Wut allmählich verzog wie Rauch, schienen ihm Volkers Mahnungen vielleicht halbwegs vernünftig.

Anmerkungen:

Das Lied über schwäbische Straßen, das der unglückliche Rossknecht immerzu singt, ist eine Anspielung an ein Lied, das auch Menschen aus dem Rest Deutschlands kennen: „Uff dr schwäb’sche Eisebahna“. Da es im Mittelalter selbstredend keine Eisenbahnen gab, habe ich das Wegenetz genommen. Im Eisenbahn-Lied kommt allerdings ein Tier zu Tode, und das ist sehr gemein!

Buckelquader: ganz typisch für hochmittelalterliche Burgen im deutschsprachigen Südwesten

Feindliche Blide: „die größte und präziseste unter den mittelalterlichen Belagerungsgeräten und eine Unterform des Katapults“ (Zitat Wikipedia, eingesehen am 24.12.2024)

Gespräch der Wormser mit dem martialischen Schwaben: Dass Gunthers Einwürfe praktisch substanzlos sind, nichts zum Gespräch beitragen und nur Zustimmung signalisieren, ist so beabsichtigt. Er überlässt Hagen die Gesprächsführung, da diesem das Aufwiegeln und Hetzen viel besser liegt. Der Schwabe ist konzipiert als ein typischer Choleriker, und die wollen ohnehin nur Gesprächspartner, die ihre Meinung teilen.

„für einen König Gernot oder Gibich wär er nicht der richtige. Er hätte ihnen auch nicht dienen wollen“: Ich bin mir noch unschlüssig, ob ich diesen Satz so lassen soll. Im Epos ist Hagen seinen drei Königen Gunther, Gernot und Giselher treu – dass er hier Gernot nicht dienen wollte, ist vielleicht ein zu großer Widerspruch; andererseits ist es für die Figur auch müßig, darüber nachzudenken. Es ist gut möglich, dass ich diesen Satz später noch ändere.

Bergsporn am Südrand der Schwäbischen Alb: Manche haben gewiss erkannt, dass ich hier deutlich auf die Heuneburg anspiele. Für diejenigen, die sie nicht kennen: Die Heuneburg war ein keltisches Machtzentrum. Die dortige Goldschmiedekunst lag auf höchstem Niveau; die weiß getünchte Lehmziegelmauer nach phönizischem Vorbild ist einmalig in Nordeuropa. Die Heuneburg gilt sogar als die älteste Stadt Mitteleuropas. Nach ihrer Zerstörung im Jahre 450 v. Chr. wurde sie nicht wiederaufgebaut. Sie wird heutzutage häufig als die vom griechischen Geschichtsschreiber Herodot erwähnte Stadt Pyrene identifiziert.

Ob Herodot im Hochmittelalter bekannt war, müsste ich nachschauen, ist aber für diese Szene egal, da ich der Anspielung halber Gunthers Kenntnisse über den antiken Chronisten voraussetze. Ob das Areal im Hochmittelalter bewaldet war, weiß ich auch nicht, und darüber hätte ich mich ebenfalls hinweggesetzt.

Warum es mir so wichtig war, die Figuren gerade auf dem Areal der einstigen Keltensiedlung wirken zu lassen: Der Bergsporn mit der Ausgrabungsstätte, einem Freilichtmuseum und seiner großen ärchaologischen Bedeutung gehört zur Gemeinde Herbertingen-Hundersingen. Und wer lebt auch in Herbertingen?! Eure Lili Vogel!

Darum wollte ich die Wormser einfach mal „bei mir zuhause“ auftreten lassen.

Link zum Artikel über das Buch über die Keltenfürstin später hier einfügen

Der See, den Gunther als Teil der Sicht erwähnt, ist der Federsee.

Hinter den Bergen liegt das ewige Rom und der Papst: Der Burgunderkönig Sigismund reiste zweimal nach Rom und sprach mit dem Papst. Dies war noch zu Lebzeiten seines Vaters Gundobad, Sigismund hatte wie vor ihm sein Onkel Godegisel den Rang des nachgeordneten Königs inne. Er konvertierte noch zu Lebzeiten seines Vaters vom Arianismus zum Katholizismus, wahrscheinlich nach der ersten Rückkehr aus Rom daheim in Burgund.

(S. Avitus-Buch)

Die beiden Heere versuchen einander auszuweichen, dabei werden Konstanz, Ulm und Altdorf erwähnt: Dies ist vielleicht ein eigenwilliges Itinerar für die Bewegungen des herzoglichen und des fürstlichen Heers. Ich wollte jedoch die Städte erwähnen, die schon im Mittelalter von großer Bedeutung waren (und an denen ich selber auch gewesen bin. Ich kam nämlich sonst nicht viel herum in der Welt). Konstanz als Bischofsstadt (und im Spätmittelalter, wie jeder weiß, Konzilsort) und Ulm als Schauplatz zahlreicher Hoftage sind schöne Beispiele für schwäbische Zentralorte. Altdorf, das eng mit der Welfendynastie verbunden ist, nannte sich im 19. Jahrhundert in Weingarten um.

Abstimmung zwischen den beiden Herrschern über den Ablauf des Begegnungszeremoniells: Das habe ich mir nicht ausgedacht, das war wirklich so, die Zahl der Schritte inbegriffen. Im Mittelalter hatten Rituale den Zweck, Rechtsakte und wie hier Herrschertreffen nicht nur zu begleiten, sondern waren unverzichtbarer Bestandteil, um einem Rechtsakt, einer Königswahl usw. Legitimität zu verleihen. In der weitgehend schriftlosen Gesellschaft hatten die Rituale zur rechtsbezeugenden auch rechtserzeugende Wirkung. Dies ging so weit, dass ein falsch durchgeführtes Ritual (z. B. eine Krönung mit den richtigen Insignien, aber nicht am angestammten Krönungsort oder andersherum) dazu führen konnte, dass der gesamte Rechtsakt von bestimmten Parteien als nichtig angesehen wurde. Vgl. hierzu das großartige Buch „Rituale der Macht“ von Gerd Althoff, und für die Neuzeit das ebenso großartige Buch „Des Kaisers alte Kleider“ von Barbara Stollberg-Rilinger.

Dass Hagen behauptet, er habe sich verhört, da die Boten nicht in echt solch eine dreiste Forderung stellen könnten, ist inspiriert von einer Bismarck-Anekdote mit den Franzosen.

Den schlimmsten Schicksalsschlag im Leben einer Frau, den Tod des Gatten: Ich lasse hier nur das Patriarchat sprechen.

Höfischheit: Das mittelhochdeutsche hövescheit bezeichnet noch weit mehr als unser heutiges Wort Höflichkeit umfasst. Mit Hövescheit ist ein ganzes Geflecht von Tugenden und Verhaltensweisen abgedeckt, die zusammen den höfischen Lebensstil bilden sollen. Darin sind Heiterkeit enthalten und edle Sitten, usw.