Religion in der Belletristik – mit kaum einem Thema kann man Leser schneller vergrämen. Heutzutage ist Religion Privatsache; und wer beim Lesen eines spannenden historischen Romans auf zu viele Glaubensdinge stößt, fühlt sich (womöglich) schnell genervt. Gläubige Figuren können auf moderne Leser allzu schnell verstockt, intolerant oder bigott wirken, selbst dann, wenn sie in der Epoche, in der ihr historischer Roman spielt, als recht lau gelten würden.
Trotzdem kann man, gerade in historischen Romanen, nur schwerlich auf das Thema Religion verzichten, da es nun einmal für die meisten Menschen vergangener Zeiten ein bedeutender Bestandteil des Lebens war. Was nun tun? Wie integriert man Religion in die Kulisse des historischen Romans, ohne dass es dem modernen Leser zu viel wird?
(Eine Anmerkung in eigener Sache: Dieser Artikel behandelt, wie man Religion/Glauben von Menschen neutral und wertungsfrei darstellt als Bestandteil ihrer Lebenswirklichkeit. Es steht mir fern, irgendjemandes religiöse Gefühle verletzen zu wollen, und ich bin der Meinung, dass gerade die Darstellung von Religion besonderes Feingefühl von Autoren erfordert, ganz gleich, welcher Religion sie selber anhängen, ob sie Atheisten sind o. Ä. Meine persönlichen Ansichten zu Religion sind kein Bestandteil dieses Blogartikels; das ist Privatsache.)
Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten (die meisten Beispiele entstammen dem Christentum):
Lasst Heilige dabeisein!
Religionen, die über Heiligenfiguren verfügen, besitzen zugleich einen Schatz von interessanten Geschichten. Während viele Leser sich geistig gleich distanzieren oder abschalten, wenn die Autorin ihre Figuren über Gott nachdenken lässt, finden die Leser Geschichten von Heiligen weniger „aufdringlich“. Heilige waren schließlich auch nur Menschen, ihre Viten enthalten starke Bilder, und ihre Schicksale sind auch für Leser anderer Glaubensrichtungen/Atheisten interessant.
In diesem Sinne könnte man die Hauptfigur einmal bei ihrem Lieblingsheiligen um Hilfe flehen lassen oder beim Patron ihres Berufes. Warum nicht den Hausaltar der Schwiegermutter des Helden beschreiben, mit ihren vielen Votivtafeln, wobei sie eigenartigerweise eine besondere Vorliebe für Märtyrer hegt?
(Zusatztipp für Schlaumeier: Katholiken beten Heilige nicht an, sie beten zu ihnen. Nur Gott beten sie an.)
Der Glaube als Bestandteil der Politik
Bei Krönungen, Schwertleiten, Staatshochzeiten usw. spielt Religion eine große Rolle und kann auch ausführlicher dargestellt werden; die meisten Leser wissen, dass zu solchen Ereignissen auch Messen usw. dazugehörten und werden sich, sollten sie eine Abneigung gegen Religion haben, nicht ganz so genervt fühlen. Wer subtiler die Bedeutung des Glaubens für die Politik darstellen möchte, kann dies z. B. beim Text von königlichen Erlassen im Mittelalter tun, so z.B. in der Schussformel wie hier Heinrich IV. 1074: „Gegeben am 18. Januar im Jahre des Heils 1074, im 19. Jahre des Königtums, im 17. der Regierung des Herrn Heinrich IV. Gegeben zu Worms im Namen Gottes. Amen.“ (Zitat aus „Worms. Eine Spurensuche“ von Ralph Häussler, Monheim 2003, S. 55)
Die Floskel „anno domini“ ist auch immer schön.
Scharfzüngige Fürbitten
Humor gefällt allen Lesern (ok, fast allen), und gerade die Vermischung von Humor und Frömmigkeit zeigt die Ubiquität des Glaubens, ohne dem Leser zu nahe zu treten.
Ein Beispiel dafür ist der Spruch, der an manche Häuserwand geschrieben war: „St. Florian, St. Florian, verschon mein Haus, zünd andere an.“ Denkbar wäre auch ein Bischof, der Wein und gutem Essen nicht abgeneigt ist und jedes Mahl beginnt mit dem Stoßseufzer: „Herr, mach mich zum Asketen – aber noch nicht gleich.“ (In starker Abwandlung des Augustinus-Zitates …)
Gerade die Volksfrömmigkeit mit ihren manchmal hanebüchenen Versuchen, den allwissenden Herrgott eben doch zu überlisten, bietet viel Material für kurze Einblicke in die Lebenswirklichkeit (und Bauernschläue) der Gläubigen.
Jede Kirche hat einen Namen
Wer in einer Stadt wohnt, dem sind die Namen der Kirchen geläufig. Da läuten nicht die „Kirche mit den zwei eckigen Türmen und die Kirche drüben am Marktplatz“, sondern St. Paulus, St. Eulalia, usw. In meinem aktuellen Projekt gibt es u. a. St. Peter, St. Paul, St. Johannis, St. Cäcilie, St. Martin und noch viele mehr.
Kirchen als Orte der Andacht
Ja gut, im Mittelalter waren Kirchen auch Orte des rein weltlichen Zusammenseins, und manchmal ging es eher zu wie auf einem Marktplatz. Trotzdem können wir davon ausgehen, dass für fromme Menschen der Besuch eines Gotteshauses etwas sehr Erhebendes war. (Man beachte, dass früher die Kirchen die höchsten Gebäude der Stadt waren. Welche sind es heutzutage? Bankhäuser.) Nun könnte man einerseits langwierig die Architektur der Kirche beschreiben (och nö …), oder man könnte die Atmosphäre kurz einfangen in Verbindung mit dem Staunen der Kirchgänger. Z. B. hier:
Als er am Tag seiner Schwertleite, umgeben von den vornehmsten Fürsten des Reiches, in den Dom einzog, ging ein Regenguss auf sie hernieder, als wolle der Himmel eine neue Sintflut schicken. Die Frauen im Gefolge quietschten und kicherten, das Gefluche der Grafen schallte über den ganzen Platz, und das Volk verschluckte seine Jubelschreie und murrte nur noch. Die wenigen Schritte vom Palas zum Nordportal reichten aus, dass sie triefend nass waren, als sie über die Schwelle traten. Der Erzbischof von Mainz empfing sie im Innern, schmunzelte ob dieses tropfenden Zuges und ging ihnen voran zum Altar im Westchor. Zu den Fenstern fiel nur noch graues Regenlicht herein, und die Säulen hallten wider von den Flüchen der Grafen, als wolle der Dom sie ermahnen mit tiefer Steinstimme, dass sie seine heilige Andacht entweihten.
Oder sowas in der Art.
Bibelbilder
Die Sintflut, das geteilte Meer, die Schlange – das sind Bilder, die allgemein bekannt sind. Für gläubige Menschen sind Vergleiche zur Bibel natürlich naheliegend: der „sintflutartige Regen“, ein grantiger Alter denkt vielleicht: „Meine Frau ist das siebenköpfige Biest der Apokalypse, ihr fehlen nur sechs Köpfe, sonst passt alles“, „der Hirtenstab, mit dem er gewiss die Wassermassen des Rheins und die Heere der Sachsen teilen könnte“.
Man kann auch Bilder verwenden, die nicht so bekannt sind.
Nun hatte das Königreich auch noch das übermäßige Glück, dass in seinen Gefilden die schönsten Mädchen heranwuchsen, Lilien unter Disteln, von ihren Lippen tropfte Honig, die Hüften rund wie Geschmeide, und diejenigen, die nicht ganz so schön waren, verzierten sich mit so viel Gold und Silber, dass ihr bescheidenes Aussehen gar nicht mehr auffiel.
Die Lilien-Stelle, der Honig und die runden Hüften sind aus dem Hohelied der Liebe.
Psalmen und Sprüche
Die Bibel enthält Zitate, die scheinen für den Unwissenden gar nicht wie Bibelzitate (vielleicht bis auf den mächtigen Duktus). „Die Tür dreht sich in ihrer Angel, und der Faule in seinem Bett“.
Angeberwissen
Hier kann man als Autorin damit angeben, wie toll man recherchiert hat. Dabei darf man nicht in Versuchung kommen, alles zu erklären, weil sich der Leser sonst belehrt fühlt. Wenn man nur lapidar religiöse Begriffe fallen lässt, erkennt der Leser, dass dies keine für die Handlung wichtigen Informationen sind, sondern nur Bestandteile der historischen Kulisse.
Aus einem Sack rollten gar ein Naviculum und ein Aspergill. Liturgische Geräte! Sie hatten eine Kirche geplündert! Auch wenn sie trotzig im Schisma verharrte, hatte die Ostkirche das nicht verdient.
Man kann es mit der Angeberei aber auch übertreiben. In einem alten Projekt von mir sagt einmal der Ex-Bischof zum Augustinus-Fan, als er ihm einen Brief gibt: „Tolle, lege!“ – Vielleicht hätte ich die deutsche Übersetzung nehmen sollen: „Nimm und lies.“