Archiv der Kategorie: Erschöpfung

Unerklärliche Erschöpfung

Meine Leistungsfähigkeit hat seit Jahren abgenommen.

Der Radius, in dem ich mich bewege, wird von Monat zu Monat kleiner, die meiste Zeit bin ich ans Haus gebunden. Meine Hobbys musste ich aufgeben, bis auf eines. Meine Träume waren einst Luftschlösser, hochragend und exzentrisch wie Neuschwanstein – jetzt sind sie dem Erdboden gleichgemacht.

Die schlimmsten Phasen

In den schlimmsten Phasen der Erschöpfung kann ich mich nicht einmal mehr umziehen, ohne dass ich außer Atem gerate und schnaufen muss wie ein Ackergaul. Wenn ich nur 12 Stufen vom oberen in den unteren Stock des Hauses gehen will, muss ich mich oben an der Treppe hinsetzen, um meine Kräfte zu sammeln, und wenn ich unten angekommen bin, muss ich mich wieder hinsetzen und erst minutenlang erholen.

Ich kann nicht einmal mehr normal laufen, nur schlurfen. Ich kann nicht im Stehen reden, weil ich dann keine Luft mehr bekomme. Wenn ich mich im Bett aufsetze, um aufzustehen, muss ich mich manchmal einfach auf die andere Seite fallen lassen, weil das Aufsetzen so anstrengend war.

Am Tisch zu sitzen ist so anstrengend, dass ich mich danach stundenlang hinlegen muss.

Haarewaschen ist das allerschwerste: Tagelang muss ich dafür Kraft sammeln, und an dem Tag, an dem ich mich endlich dazu aufraffe, kann ich nichts anderes tun. Danach muss ich mich den Rest des Tages ausruhen.

Das sind die schlimmsten Phasen.

Die normalen Phasen der Erschöpfung sehen so aus:

Ich kann am Tag eine oder zwei Stunden arbeiten (ich zähle Dichtungen), und manchmal kann ich sogar 500 Meter in den Supermarkt gehen und einkaufen (zusammen mit meiner Mum). An besonders leistungsfähigen Tagen kann ich sogar in die nächste Stadt fahren und in einem, maximal zwei Läden einkaufen. Es muss aber meine Mum fahren; und die Stadt hat auch nur 16 000 Einwohner, zum Glück. Mehr Leute würden mich noch mehr entkräften.

An einem oder zwei Tagen im Monat kann ich mich meinem Hobby, dem Schreiben einer einfältigen Mittelaltergeschichte, widmen. Das gefällt mir, und ich würde es so gerne noch öfter tun. Aber meist fühle ich mich am Tag danach fiebrig und kraftlos und muss mich wieder hinlegen.

Wie hat es sich entwickelt?

Es begann damit, dass ich keinen Sport mehr machen konnte. Früher machte ich an fünf bis sechs Tagen in der Woche jeweils eine Stunde Sport. Irgendwann wurde ich danach zunehmend erschöpfter; immer öfter kamen Tage, an denen ich mich schon morgens völlig kraftlos fühlte und mich alles anstrengte.

Naja, dachte ich, muss eben die Kondition wieder verbessert werden. Immer wieder machte ich einen neuen Anlauf, um zurück zu alter Form zu kommen: Etwa fünf Tage lang konnte ich Sport machen, und dann kam eine Phase, in der ich diese Kurzatmigkeit bekam, dieses Fiebergefühl, einfach Erschöpfung eben.

Diese Phasen wurden immer länger. Drei Tage Sport hießen eine Woche Erschöpfung. Irgendwann hießen zwei Tage Sport zwei Wochen Erschöpfung. Am Ende folgte auf einen Tag Sport ein Monat Erschöpfung. Irgendwann war sogar das Umkleiden in meine Sportsachen so anstrengend, dass ich danach erstmal auf der Matte liegen bleiben musste und Kraft sammeln. Vor eineinhalb Jahren gab ich es ganz auf.

Dann begann es, dass mich das Spazierengehen mit meiner Mum entkräftete. Früher hatte mich Spazierengehen nie überfordert! Wenn die eigene Ü-60-Mum locker einen Spaziergang wegsteckt, während ich danach mehrere Stunden lang im Bett liegen muss, dann ist das ziemlich seltsam.

Aufrecht am Tisch sitzen: unglaublich anstrengend. Alle Hobbys, die man im Sitzen erledigt, fielen weg. Das waren: Diamond Painting. Buch schreiben. Blogartikel schreiben. Notizen zu Büchern über Geschichte machen. Chinesische Zeichen lernen.

Es ist mir nur das Bücherlesen geblieben. Ich lese keine Romane, sondern Fachbücher, Biografien, all die bekannten Standardwerke über Geschichte; außerdem Bücher über Friedensnobelpreisträgerinnen Politik und bisweilen Theologie. Ich lese in Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, ab und an auch in Portugiesisch, Italienisch und Niederländisch. Zwar war ich nie intelligent, sondern nur eine brave und deshalb gute Schülerin, aber meine kognitiven Fähigkeiten, die eben nur durchschnittlich sind, haben nicht noch mehr abgenommen, denke ich.

Wenigstens das.

Woher kommt die Erschöpfung?

Keine Ahnung. Ich habe schon zig Nahrungsergänzungmittelchen probiert, das halbe Internet leergelesen, nichts hat genützt.

Die Erschöpfung ist mein einziges Symptom. Bitte kommt jetzt nicht mit Vorschlägen wie Depression! Die Erschöpfung ist das einzige. Nichts anderes. Ich habe noch einige Pläne, die ich gerne ausführen würde. Es sind keine hochfliegenden Pläne mehr, nur noch realistische.

Aber wie soll ich etwas in meinem Leben verbessern, wenn ich nach zwei Minuten Zähneputzen 10 Minuten lang liegen muss, um Kraft zu sammeln?

Ihr fragt euch, warum ich diesen Artikel überhaupt schreiben konnte?

Augenblicklich bin ich einer Phase winziger Besserung, sogar etwas besser als normal. (Ich habe in dieser Phase auch wieder an dem Buch weiterschreiben können.) Tatsächlich habe ich ein Mittelchen gefunden, das diese Veränderung eventuell verursacht hat. In den letzten Tage ging es mir wieder schlechter, also muss ich schauen, wie sich das entwickelt.

Ich bin nun zu erschöpft für einen langen Schlussabsatz. Danke für euer Verständnis. Tschüs.

Mit extremer PMDS hat man nur eine gute Woche im Monat

Reden wir nicht lange darum herum: PMDS (englisch PMDD) ist immer schlimm, unabhängig davon, an wie vielen Tagen des Monats man daran leidet. Wegen dieser bescheuerten Hormonstörung fühlt man sich wie ein Fremdling im eigenen Kopf, bricht in schrecklichen Wutausbrüchen Freundschaften und Beziehungen ab, setzt seinen Arbeitsplatz aufs Spiel oder unternimmt einen Selbstmordversuch. Oder man leidet immer nur stumm, schluckt allen Zorn herunter, und wird innerlich zerfressen bis zur absoluten Verzweiflung (so wie bei mir).

Unter den Betroffenen von PMDS gibt es keine Gewinnerinnen; wenn ich jemandem begegne, die es an zwei Tagen im Monat hat, gratuliere ich ihr trotzdem nicht. Zwei Tage PMDS sind zwei zu viel.

Manche Frauen haben es zwei bis drei Tage lang, manche leiden eine Woche lang darunter, und – manche besonders „Glücklichen“ haben es ganze zwei Wochen lang.

Zwei Wochen jedes Monats, so lange, bis dieser Zyklushorror endlich aufhört. Dann treten, wenn wir Pech haben, die Probleme der Menopause an seine Stelle …

Eine Frau menstruiert etwa 400-mal in ihrem Leben. Das sind 400-mal zwei geraubte Wochen. Es sind JAHRE, die uns verloren gehen.

ABER: Das heißt noch lange nicht, dass die anderen zwei Wochen eine Idylle sind. Für mich sind es nur 5 bis 7 Tage, an denen es mir „gut“ geht. (Soweit man ein Leben mit ständiger Erschöpfung, Depression, komplexen Traumas und OCD gut nennen kann.)

Die erste Zykluswoche (Periode):

Früher ging es mir mit Einsetzen der Periode schlagartig besser. Es war, als habe sich der schwarze Nebel gelichtet, als wäre ich wieder ich selber. Selbst die teils heftigen Krämpfe konnten daran nichts hindern; sie waren vielmehr wie aufgedrehte Herolde, die verkünden, dass der Himmel endlich aufgerissen ist.
(Grund ist das Absinken des Progesterons, das für manche von uns der Verursacher unserer PMDS ist.)

Aber inzwischen sind die zwei Wochen der zweiten Zyklushälfte so verheerend, dass der Nebel sich nicht mehr plötzlich lichtet; stattdessen muss ich mich an den ersten Tagen der Periode vom Drama der Progesteron-Phase richtiggehend erholen.

Die erste Woche steht ganz unter dem Zeichen der Erschöpfung. Ich fühle mich, als stünde ich zwischen den rauchenden Ruinen meines Lebens. Der einzige Unterschied zur zweiten Zyklushälfte ist der, dass das Feuer aufgehört hat.

Die Reizbarkeit bleibt noch länger, und auch die Erinnerungen an all die Beleidigungen von früher wollen nicht gehen wie unerwünschte, unsympathische Gäste.

In der ersten Woche kann ich nichts Produktives tun, nicht auf irgendein Ziel in der Zukunft hinarbeiten; ich kann nur Trümmer umherschieben.

Die zweite Woche: Östrogen rules

Erst in der zweiten Woche werde ich wieder „ich“. Es ist, als ob ich eine alte Schulkameradin wiedersehe, die ich eigentlich fast vergessen hatte. Oft erfüllt mich mein richtiger Charakter mit Staunen, ja, es ist fast, als würde ich mich neu kennen lernen: Ich flippe DOCH NICHT bei jeder Kleinigkeit aus? Ich kann auch einmal über einen Angriff hinwegsehen; ich kann Schwierigkeiten wegstecken, OHNE dass ich in rasende Wutanfälle gerate? (Wobei sich diese emotionalen Ausbrüche für andere unbemerkt nur in meinem Innern abspielen.) – Eigentlich ist diese Person, dieses wahre Ich, ziemlich ok. Wenn sie länger bei mir bleiben würde, könnte man vielleicht irgendwas machen, um mein Leben ein bisschen in den Griff zu kriegen.

Früher, vor meiner ständigen Erschöpfung, war ich in der zweiten Woche sehr produktiv. Heute ist es nur noch ein schwacher Widerhall. Ich merke, dass Östrogen seine gnädige Wirkung auf mich ausübt, wenn ich mich meinem Lieblingshobby, dem Schreiben von Mittelaltergeschichten, wieder widmen kann. Aber nur kurz und nie zwei Tage in Folge; dafür hat die Erschöpfung gesorgt.

Wie eine Vergiftung durch die eigenen Hormone: Der Eisprung

Und dann wache ich eines Tages auf und würde am liebsten für den Rest meines Lebens liegen bleiben. Ich bin so erschöpft, dass ich mich am liebsten nach jeder Anstrengung wieder hinlegen würde. „Anstrengung“ heißt in dieser Zeit: Zähneputzen. Zehn Stufen hochsteigen. Fenster aufmachen, um zu lüften. Eine Stunde am Tisch sitzen und arbeiten – danach den Rest des Tages ausruhen. Geschichten schreiben, Haare waschen, Einkaufen gehen: Unmöglichkeiten! Ich kann nur im Bett liegen und auf Reddit Erfahrungsberichte anderer Leute lesen.

Ich fühle mich so kraftlos, als wäre ich innerlich hohl, während alle anderen in sich drin Energie im Übermaß haben.

Diese Erschöpfung ist so anders, so allumfassend, dass ich sie oft mit einer Vergiftung vergleiche. Sie fühlt sich nicht wie eine „gesunde“ Erschöpfung an, wie die stolze Müdigkeit, wenn man einen Tag lang viel getan hat. Sie fühlt sich auch etwas anders an als die ständige unerklärliche Erschöpfung, die mich seit fünf Jahren begleitet: Es scheint, als wäre sie ein hämischer Gruß des Schicksals, das mir zeigen will, dass ich dem Abgrund der Kraftlosigkeit nie entkommen werde. Aber vielleicht empfinde ich das auch nur deshalb so krass, weil diese Erschöpfung ganz plötzlich nach der „guten“ Phase eintritt.

Schuld ist das luteinisierende Hormon, das den Eisprung auslöst.

Zweite Zyklushälfte: Werwölfin

Diese Müdigkeit hält meist zwei bis drei Tage an. Und ab dann – befinde ich mich in der zweiten Zyklushälfte! Herzlich willkommen auf der Rutsche Richtung Hölle! Ab jetzt wird’s nur immer schlechter. Alle alten negativen Erinnerungen sind wieder da. Manchmal ärgere ich mich sogar über Sachen, die eine Freundin zu mir gesagt hat, als wir noch im Kindergarten waren. Wenn ich morgens aufwache: Ärger und Zorn. Wenn ich abends ins Bett gehe: Wut und Rage.

Geschichten schreiben: Ach geh! Irgendwas Aufräumen oder so: Vielleicht noch in den ersten Tagen von Woche drei; ab Woche vier ist nur noch Leiden angesagt.

Bücher lesen: Es geht, aber längst nicht mehr so viele wie in Woche 1 und 2. In manchen Zyklen kann ich leider nur im Internet lesen.

Fazit

Wenn ich die Tage zusammenzähle, an denen ich nicht am PMDS oder den Nachwirkungen davon leide, komme ich also nur auf 7 bis 5 (!) Tage.

Extremes PMDS: 0/10. Do not recommend.

Über die Unplanbarkeit des Lebens einer chronisch Kranken

Wenn man chronisch krank ist, nimmt man sich ohnehin nichts Großes mehr vor. Urlaubsreise? Im Leben nicht! Ein Haus bauen? Als ob! Ein Zimmer tapezieren? Mit welcher Kraft bitte? Das Bücherregal abstauben, oder einmal etwas putzen, oder, wenn es hochkommt, 20 Minuten Sport machen? DAS sind Aufgaben, die machbar wären – wenn nichts dazwischenkommt.

Und wie oft kommt etwas dazwischen. Man kann niemals für den nächsten Tag planen; jeden Morgen beim Aufstehen erweist sich, ob man heute die anstehenden Aufgaben, Aufgäbchen vielmehr, bewältigen kann, oder ob die Kraft nur fürs Existieren ausreicht.

Man hat ja keine übersteigerten Wünsche mehr, keine ehrgeizigen Ziele, nur ganz bescheiden würde man einfach gerne den längst überfälligen Staub unter dem Bett wegwischen, oder die eingegangenen Briefe abheften – Dinge, die jemand ohne chronische Krankheit einfach zwischendurch erledigen kann.
Doch nein, es darf nicht sein. Entweder sind es Kopfschmerzen, oder es ist ein Infekt, oder es ist der Luftdruck – alles nur Kleinigkeiten für Gesunde, aber wenn man chronisch krank ist, saugen diese Kleinigkeiten unerbittlich den ohnehin schon geringen Energietank leer.

Dann sieht man die Pläne, diese hochfliegenden Hoffnungen, einmal aufzuräumen, sich die Haare zu waschen, oder vielleicht, vielleicht, einmal sich einem Hobby zu widmen – wieder zerplatzen, wie so oft, während man sich vom einmaligen Treppensteigen erholen muss (nur in den nächsten Stock!). Dann wird es schon unverhältnismäßig kräftezehrend, nur aufrecht am Tisch zu sitzen. Einmal in den Garten zu schlurfen und den Wildvögeln Körner hinzustreuen, rechtfertigt, dass man sich danach wieder hinlegt, weil man so entsetzlich erschöpft ist.

Dann bleibt der Staub eben liegen, die Papierstapel wachsen weiter, die Sportmatte zerbröselt ungenutzt, die Hobbys sind nichts als Erinnerungen an die gesunde Vergangenheit.

Und es bleibt wieder nur die Ernüchterung, dass meine Hoffnungen und Pläne, so klein sie auch waren, trotzdem zu ehrgeizig gewesen sind. Aufräumen, sich die Haare waschen, einkaufen gehen – das ist alles zu viel verlangt. Mein Schicksal als chronisch Kranke sagt: Das hast du alles nicht verdient. Vom Aufräumen zu träumen, ist nicht genug Demut.

Ich hätte auch nie gedacht, dass ich eines Tages im Leben die anderen darum beneide, dass sie Staub wischen können.