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Wenn die Lutealphase mit Wucht zurückkommt

Ich bin was Besonderes. Nur etwa 1,6 % aller Frauen haben PMDS/PMDD. Ich gehöre auch dazu. Nein, nein, Applaus ist unangebracht. Die Forschung weiß nicht, woher es kommt oder was man dagegen tun kann. Wer es hat, weiß dafür, wie unerträglich es ist.

Dieses Mal war die erste Zyklushälfte wirklich gut. Ich erfreute mich einer Produktivität, wie ich sie so schon lange nicht mehr erleben durfte:

  • Ich konnte fast 13 Tage in Folge an meinem Fanfiction-Manuskript arbeiten. Sonst schaffe ich das meist nur an zwei oder drei Tagen im Monat, bevor wieder Erschöpfung, Schicksalsschläge, Drama mit Mitmenschen oder die Weltpolitik dazwischen kommen.
  • Ich konnte fast jeden Tag Zusammenfassungen zu Büchern, die ich letztens gelesen habe, erstellen. Da ich immer alles übertreibe, wird jede der Zusammenfassungen mindestens 15 Seiten lang …
  • Ich konnte Bücher abstauben und sogar ein bisschen Büroarbeit machen.
  • Ich war zeitweilig sogar so positiv gestimmt, dass ich schon in Erwägung zog, wieder mit dem Chinesischlernen anzufangen, und mir ausrechnete, wie viele Zeichen ich in welcher Frist lernen könnte, wenn es stimmungsmäßig so weiterginge.

Für meine Verhältnisse ist das unglaublich viel. Was natürlich nicht ging, war Sport; und nachdem ich einmal für zwei Stunden lang einen Verwandten und dessen Freundin hatte treffen müssen, konnte ich die nächsten zwei Tage vor Erschöpfung nur im Liegen verbringen.

Ich war mit diesen Aufgaben ausgefüllt, schmiedete sogar schon Pläne für ein paar Änderungen auf dem Blog. Mein Leben ist klein, gescheitert und unwichtig, aber das störte mich nicht, denn ich war beschäftigt mit dem Buchmanuskript und mit den Notizen. Jaja, I had a bad childhood, aber andere haben den Zweiten Weltkrieg erlebt, das ist unendlich schlimmer, und außerdem muss ich noch 10 unglaublich wichtige Bücher über Dekolonialisierung Afrikas, das Mogulreich und Papsttum zusammenfassen! Andere haben immer nur Erfolg – aber Thomas Sankara war eine Lichtgestalt und wurde ermordet! Erfolg ist ein Privileg, das die wenigsten verdient haben. Ich hab auch keinen. So ist es eben in der Welt. Warum sollte es mir besser gehen als den armen Menschen aller Zeiten, bin ich besser als die?! Natürlich nicht. Und diese Bücher sind soooo spannend! Ein Mogulherrscher wurde zweimal jährlich gegen Gold und Kostbarkeiten aufgewogen, die dann verteilt wurden an Geistliche, Höflinge und einfache Leute! (Und Kupfer, und Seide, und Parfüm, und Getreide, und wenn er ein bisschen fülliger war, war er bestimmt trotzdem beliebt …)

Doch nun ist alles wieder in weite Ferne gerückt.

Die zweite Zyklushälfte hat begonnen.

Ich ärgere mich wieder unmäßig. Ich bin zu erschöpft, um am Schreibtisch zu sitzen. Es kommen die gleichen alten Erinnerungen hoch wie jeden, jeden Monat: Wie mein Verwandter X mir sagte, dass ich nie das Studium schaffen würde; wie er mir sagte, dass mein Buchprojekt niemals gut werden würde, und dass ER das natürlich viel besser könnte. Manche der Erinnerungen reichen bis in die Kindergartenzeit zurück! Und nein, ich kann sie nicht verdrängen, sie kommen immer durch, so wie Ungeziefer trotz Fliegengitter ins Zimmer findet.

Ich lese wieder die alten Nachrichten durch, die mir Personen geschickt haben, mit denen ich bereits vor Jahren den Kontakt abbrach.

Ich ärgere mich über alle Träume, die ich einst hatte, und die nie in Erfüllung gegangen sind.

Ich ärgere mich über alle die Personen, die Träume hatten, und die ALLESAMT in Erfüllung gegangen sind!

Ich ärgere mich über Männer und über alles, was sie tun, getan haben und noch tun werden. In der ersten Zyklushälfte ärgere ich mich ebenfalls über Männer, schließlich besitze ich mehr als 1000 Bücher über Geschichte. Doch in der zweiten Zyklushälfte quillt der Ärger wie ein Hefeteig. Wenn ich aufwache, brodelt alles vor Hass auf das Patriarchat. Und (interessanter?) Fact: Wenn ich in der zweiten Zyklushälfte nachts aufwache, denkt mein Kopf sofort an bekannte historische Massaker, die Männer angerichtet haben. Meistens an das Massaker von Nanjing.
Wenn ich zu lange aufbleibe, ist es ähnlich: Dann fallen mir unaufhaltsam die immer gleichen Schandtaten von Männern ein. Die ermordeten Inderinnen, die Schreckensherrschaft der Roten Khmer, der unaussprechliche Umgang mit Sarah Baartmans Leichnam, das Aussetzen von weiblichen Babys in der Antike, die Anti-Frauen-Propaganda irgendwelcher „Philosophen“, das Martyrium von Junko Funura. Und ich hasse und hasse und hasse
Inzwischen ist mein Hass auf das Patriarchat ein guter Gradmesser, um festzustellen, an welchem Zyklus-Zeitpunkt ich mich gerade befinde.

Ich hänge die Hälfte der Zeit auf Reddit rum, weil ich so erschöpft bin.

Die andere Hälfte der Zeit kann ich immerhin noch lesen.

Ich bin wütend, dass von den zahllosen Mittelchen, die ich schon ausprobiert habe, kein einziges geholfen hat.

Ich bin wütend, dass andere Leute Bücher geschrieben haben. Ich bin wütend, dass ich in meiner Familie nie Ansehen hatte (außer von meiner Mum und oft von einem Bruder). Ich bin so wütend, dass ich nie studiert habe, weil ein naher Verwandter mir zu verstehen gab, dass er immer der bessere in Geschichte wäre. Dann habe ich nach einem Monat wieder abgebrochen.

Ich bin wütend, dass ich 5 Jahre lang eine Depression oder was auch immer hatte, mit Phasen, in denen ich jeden Tag Wutanfälle bekam, Mülleimer umherkickte usw. Ich bin erst recht wütend, dass alle Mitmenschen in dieser Zeit Erfolg auf Erfolg häuften, während es bei mir nur abwärts ging. Ich bin wütend, dass ich nach meiner 5-jährigen Depression oder was auch immer alt und erfolglos bin, während das ganze Internet voll von Leuten ist, die mit Anfang 20 auf der Welle des Erfolges reiten. Ich will, dass die ganzen Glückskekse um mich herum es einfach auch mal schwer haben. Bloß ein bisschen. Wenn man in allen gesellschaftlichen Kreisen, mit denen man zu tun hat, die erfolgloseste und rangniedrigste ist, dann ist das verdammt schwer zu ertragen.

Ich kann nicht mehr am Buch weiterschreiben, da ich alles, was ich zu Papier gebracht habe, hasse. Leider haben mir die Männer in meinem Leben gesagt, dass mein Schreibstil grottenschlecht sei. SIE können wunderbar formulieren!

Es ärgert mich, dass ich in meinem Leben nie etwas am besten konnte, dass es nie Themen gab, bei denen die Familie sagte: „Das ist dein Ding, darin kennst du dich aus“, nein, immer mussten die männlichen Wesen alles besser wissen. Und wenn es doch einmal so schien, als wüsste ich etwas, was die Männer nicht wussten, dann haben sie meine Kenntnisse als unwichtig abgetan. „Das interessiert eh keinen.“

Ich hasse PMDS.

Ich weiß, dass die Hormone alles verzerren, doch das Wissen ändert nichts. Ich bin müde und erschöpft, das kann ich mir nicht ausreden. Ich hasse jeden Satz meines Manuskripts, das kann ich mir nicht schönreden.

Ich habe schon zahllose Mittelchen ausprobiert, keines half. Nur eines wird helfen: Wenn der Zyklus nach 14 Tagen endlich Gnade hat und von vorne beginnt.

1,6 Prozent der Frauen haben PMDS. Wir sind was Besonderes. Kein Applaus bitte.

Mit extremer PMDS hat man nur eine gute Woche im Monat

Reden wir nicht lange darum herum: PMDS (englisch PMDD) ist immer schlimm, unabhängig davon, an wie vielen Tagen des Monats man daran leidet. Wegen dieser bescheuerten Hormonstörung fühlt man sich wie ein Fremdling im eigenen Kopf, bricht in schrecklichen Wutausbrüchen Freundschaften und Beziehungen ab, setzt seinen Arbeitsplatz aufs Spiel oder unternimmt einen Selbstmordversuch. Oder man leidet immer nur stumm, schluckt allen Zorn herunter, und wird innerlich zerfressen bis zur absoluten Verzweiflung (so wie bei mir).

Unter den Betroffenen von PMDS gibt es keine Gewinnerinnen; wenn ich jemandem begegne, die es an zwei Tagen im Monat hat, gratuliere ich ihr trotzdem nicht. Zwei Tage PMDS sind zwei zu viel.

Manche Frauen haben es zwei bis drei Tage lang, manche leiden eine Woche lang darunter, und – manche besonders „Glücklichen“ haben es ganze zwei Wochen lang.

Zwei Wochen jedes Monats, so lange, bis dieser Zyklushorror endlich aufhört. Dann treten, wenn wir Pech haben, die Probleme der Menopause an seine Stelle …

Eine Frau menstruiert etwa 400-mal in ihrem Leben. Das sind 400-mal zwei geraubte Wochen. Es sind JAHRE, die uns verloren gehen.

ABER: Das heißt noch lange nicht, dass die anderen zwei Wochen eine Idylle sind. Für mich sind es nur 5 bis 7 Tage, an denen es mir „gut“ geht. (Soweit man ein Leben mit ständiger Erschöpfung, Depression, komplexen Traumas und OCD gut nennen kann.)

Die erste Zykluswoche (Periode):

Früher ging es mir mit Einsetzen der Periode schlagartig besser. Es war, als habe sich der schwarze Nebel gelichtet, als wäre ich wieder ich selber. Selbst die teils heftigen Krämpfe konnten daran nichts hindern; sie waren vielmehr wie aufgedrehte Herolde, die verkünden, dass der Himmel endlich aufgerissen ist.
(Grund ist das Absinken des Progesterons, das für manche von uns der Verursacher unserer PMDS ist.)

Aber inzwischen sind die zwei Wochen der zweiten Zyklushälfte so verheerend, dass der Nebel sich nicht mehr plötzlich lichtet; stattdessen muss ich mich an den ersten Tagen der Periode vom Drama der Progesteron-Phase richtiggehend erholen.

Die erste Woche steht ganz unter dem Zeichen der Erschöpfung. Ich fühle mich, als stünde ich zwischen den rauchenden Ruinen meines Lebens. Der einzige Unterschied zur zweiten Zyklushälfte ist der, dass das Feuer aufgehört hat.

Die Reizbarkeit bleibt noch länger, und auch die Erinnerungen an all die Beleidigungen von früher wollen nicht gehen wie unerwünschte, unsympathische Gäste.

In der ersten Woche kann ich nichts Produktives tun, nicht auf irgendein Ziel in der Zukunft hinarbeiten; ich kann nur Trümmer umherschieben.

Die zweite Woche: Östrogen rules

Erst in der zweiten Woche werde ich wieder „ich“. Es ist, als ob ich eine alte Schulkameradin wiedersehe, die ich eigentlich fast vergessen hatte. Oft erfüllt mich mein richtiger Charakter mit Staunen, ja, es ist fast, als würde ich mich neu kennen lernen: Ich flippe DOCH NICHT bei jeder Kleinigkeit aus? Ich kann auch einmal über einen Angriff hinwegsehen; ich kann Schwierigkeiten wegstecken, OHNE dass ich in rasende Wutanfälle gerate? (Wobei sich diese emotionalen Ausbrüche für andere unbemerkt nur in meinem Innern abspielen.) – Eigentlich ist diese Person, dieses wahre Ich, ziemlich ok. Wenn sie länger bei mir bleiben würde, könnte man vielleicht irgendwas machen, um mein Leben ein bisschen in den Griff zu kriegen.

Früher, vor meiner ständigen Erschöpfung, war ich in der zweiten Woche sehr produktiv. Heute ist es nur noch ein schwacher Widerhall. Ich merke, dass Östrogen seine gnädige Wirkung auf mich ausübt, wenn ich mich meinem Lieblingshobby, dem Schreiben von Mittelaltergeschichten, wieder widmen kann. Aber nur kurz und nie zwei Tage in Folge; dafür hat die Erschöpfung gesorgt.

Wie eine Vergiftung durch die eigenen Hormone: Der Eisprung

Und dann wache ich eines Tages auf und würde am liebsten für den Rest meines Lebens liegen bleiben. Ich bin so erschöpft, dass ich mich am liebsten nach jeder Anstrengung wieder hinlegen würde. „Anstrengung“ heißt in dieser Zeit: Zähneputzen. Zehn Stufen hochsteigen. Fenster aufmachen, um zu lüften. Eine Stunde am Tisch sitzen und arbeiten – danach den Rest des Tages ausruhen. Geschichten schreiben, Haare waschen, Einkaufen gehen: Unmöglichkeiten! Ich kann nur im Bett liegen und auf Reddit Erfahrungsberichte anderer Leute lesen.

Ich fühle mich so kraftlos, als wäre ich innerlich hohl, während alle anderen in sich drin Energie im Übermaß haben.

Diese Erschöpfung ist so anders, so allumfassend, dass ich sie oft mit einer Vergiftung vergleiche. Sie fühlt sich nicht wie eine „gesunde“ Erschöpfung an, wie die stolze Müdigkeit, wenn man einen Tag lang viel getan hat. Sie fühlt sich auch etwas anders an als die ständige unerklärliche Erschöpfung, die mich seit fünf Jahren begleitet: Es scheint, als wäre sie ein hämischer Gruß des Schicksals, das mir zeigen will, dass ich dem Abgrund der Kraftlosigkeit nie entkommen werde. Aber vielleicht empfinde ich das auch nur deshalb so krass, weil diese Erschöpfung ganz plötzlich nach der „guten“ Phase eintritt.

Schuld ist das luteinisierende Hormon, das den Eisprung auslöst.

Zweite Zyklushälfte: Werwölfin

Diese Müdigkeit hält meist zwei bis drei Tage an. Und ab dann – befinde ich mich in der zweiten Zyklushälfte! Herzlich willkommen auf der Rutsche Richtung Hölle! Ab jetzt wird’s nur immer schlechter. Alle alten negativen Erinnerungen sind wieder da. Manchmal ärgere ich mich sogar über Sachen, die eine Freundin zu mir gesagt hat, als wir noch im Kindergarten waren. Wenn ich morgens aufwache: Ärger und Zorn. Wenn ich abends ins Bett gehe: Wut und Rage.

Geschichten schreiben: Ach geh! Irgendwas Aufräumen oder so: Vielleicht noch in den ersten Tagen von Woche drei; ab Woche vier ist nur noch Leiden angesagt.

Bücher lesen: Es geht, aber längst nicht mehr so viele wie in Woche 1 und 2. In manchen Zyklen kann ich leider nur im Internet lesen.

Fazit

Wenn ich die Tage zusammenzähle, an denen ich nicht am PMDS oder den Nachwirkungen davon leide, komme ich also nur auf 7 bis 5 (!) Tage.

Extremes PMDS: 0/10. Do not recommend.