Dietrich von Bern – Buchtrailer
Die Rose von Huwelreich – Buchtrailer
Der König von Blauwittern – Buchtrailer
Autoren-Anfängerfehler, die ihr noch nicht kennt
Wer diesen Artikel liest, ist mit Sicherheit eines: kein Anfänger. Anfängerautoren lesen grundsätzlich keine Artikel über Anfängerfehler. Warum auch? Sie sonnen sich ja noch im seligen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Wer nicht an sich zweifelt, ist entweder ein Amateur oder ein wahrer Meister, und die Anfänger optieren in ihrem Falle alle für den wahren Meister. (Und niemand gibt es gerne zu, aber genossen wir nicht alle einst diese ersten Jahre unbekümmerter Stümperei, und hielten uns für größer, als wir waren?)
Nur geübte Autoren lesen Artikel über Anfängerfehler, vornehmlich in Phasen wankender Motivation, um sich daran zu freuen, dass man diese Fehler nicht begeht und ergo ein guter Autor sein muss. (Und die alten Manuskripte, in denen man all diese Fehler beging, bleiben verborgen auf alten Festplatten oder in staubigen Schubladen.)
Hier sind die ärgerlichsten Anfängerfehler, denen noch niemand entkommen ist, und die bisher noch nicht gesammelt worden sind!
Alle Figuren sind intelligent, und die Heldin am allermeisten
Eine Protagonistin, deren IQ geringer ist als 130? Auf keinen Fall, das darf es nicht geben! Bestenfalls ist die Figur sogar klüger als Einstein, und am allerbesten ist es, wenn der Leser das gleich auf den ersten Seiten erfährt. Er muss ja schließlich wissen, dass er es mit einem Genie zu tun hat.
In der überwältigenden Mehrheit der Fälle sind die Schlaumeier unter den literarischen Figuren noch Jugendliche, und verhalten sich für den Rest des Buches wie normale Teenager, oder, noch schlimmer: wie sehr unbesonnene Teenager.
Warum Anfängerautoren Hochbegabte und Hochintelligente so lieben, liegt auf der Hand: Die überragenden geistigen Fähigkeiten sollen bei den Lesern Bewunderung auslösen, und am besten folgern die Leser gleich, dass, wer eine solch kluge Figur erschaffen hat, auch selber superklug sein muss!
Alte Bauernweisheit: Was man erst mühsam erklären muss, ist nicht offensichtlich. Wenn der Autor uns wortreich versichert, sein Protagonist sei ein neuer Newton, ein neuer Goethe oder wer auch immer, dann hat er schon Minuspunkte gesammelt. Die Intelligenz der Figur sollte aus ihren Aktionen, Gedankengängen und ihrem Verhalten hervorgehen. Eine Behauptung von Seiten eines übereifrigen Erzählers reicht nicht, die heutigen Leser zu überzeugen.
„Das ist Friedhelm. Friedhelm ist auf einem Eliteinternat. Friedhelm ist total klug. Ich weiß zwar nicht, wie ich das zeigen kann, aber wenn ich als Autor das sage, stimmt es auch!“
Sorgfältigere Anfänger versuchen, uns die Intelligenz der Figuren zu zeigen. Nun könnte man die Figur zum Beispiel eine hochkomplexe Rechenaufgabe lösen lassen, deren Lösung nur die klügsten 1% der Weltbevölkerung verstehen – doch das habe ich bisher noch in keinem Buch gelesen. Liegt vielleicht daran, dass die meisten Autoren schon als Schüler eine Privatfehde mit Mathematik führten. (Und nein, ich hätte die Rechenaufgabe auch nicht verstanden.) – Die liebste Lösung der Anfänger: Die Figur hat Bildung, vornehmlich auf dem Gebiet der Geschichte. Wer nämlich weiß, dass Jaques de Molay der letzte Großmeister der Templer war oder dass sich Napoleon am 2. Dezember 1804 zum Kaiser krönte, der ist ja eindeutig klug!
Glaubt mir, das stimmt nicht. Bildung und Intelligenz sind kein Dioskurenpaar. (Ich erzähle ständig Anekdötchen aus der Geschichte, und mich halten alle für verrückt! Am Habsburger Kaiserhof gab es zu Jahresanfang zwei große Bälle. Der Ball bei Hof und der Hofball. – Heinrich IV. hat beim Versöhnungsmahl in Canossa übrigens nichts gegessen, sondern nur mit dem Fingernagel die Tischplatte zerkratzt, Kaiser Franz Joseph starb am 21. November 1916, und am 21. November 1874 hat Wagner die Partitur der Götterdämmerung vollendet und sich danach schrecklich mit Cosima gestritten, weil der Schwiegervater kommen wollte, und Kaiser Franz II./I. stellte gerne Pralinen her und spielte mit Metternich und zwei anderen im Quartett. – Und, beeindruckt? Nein? Eben …)
Warum diese Abneigung gegen Normalbegabte? Warum müssen alle Leute Genies sein? Normal ist völlig wunderbar, und es gibt viele andere schöne Eigenschaften, die eine Figur besitzen kann. Sozialkompetenz, Loyalität, Mut …
Transitszenen
Anfängerautoren schildern mit Hingabe, wie jemand von A nach B gelangt. Gerade während der Exposition häufen sich diese Szenen, die nichts zur Handlung beitragen und niemanden interessieren. Ob die Figur mit dem Fahrrad zum nächsten Handlungsort gelangt oder mit dem Zug, ob sie eine BahnCard hat oder der Zug Verspätung, ob sie ein Taxi nimmt oder die U-Bahn – das ist nicht von Belang. Tatsächlich kann man die Szene sogar am einen Ort abbrechen und erst am anderen Ort wiederaufnehmen – die Leser kommen trotzdem mit!
(Wenn die Transitszene verwendet wird, um wichtige Details zu übermitteln, wie wichtige (!) Gedanken der Figur, die Atmosphäre des Schauplatzes o. Ä. kann sie ihre Berechtigung haben.)
Das Alltägliche, geschildert mit Liebe zum Detail
Wieso schreiben gefühlt alle Anfängerautoren, wie sich ihre Figuren duschen, anziehen, was sie frühstücken (und sei es auch nur Kaffee), und oft auch noch, wie sie sich schminken? (Und warum pflegt sich eigentlich niemand nach der koreanischen 10-Schritt-Routine?)
Das hat keinen Nutzen für den Leser, schließlich ist der Alltag der meisten Leser dem geschilderten Alltag ziemlich ähnlich und deshalb langweilig. Doch keine Sorge: Nachdem man hingebungsvoll ein oder zwei uninteressante Alltagserlebnisse beschrieben hat, wird es auch dem Anfänger zu langweilig, und er würzt beim nächsten Mal seine Frühstücksszene mit einem Kometeneinschlag oder einem Angriff von Einhorn-Aliens.
Wer sich lieber in historischen oder Fantasy-Settings tummelt, hat natürlich Glück. Der Alltag einer vergangenen Epoche oder einer erfundenen Welt kann dank seiner Fremdartigkeit durchaus interessant sein.
Alle sind sooo lieb zur Hauptfigur!
Selbst Pappeln und Laternenpfosten verneigen sich vor ihr, wildfremde Leute haben das Bedürfnis, sie zur Alleinerbin ihres nicht unbedeutenden Vermögens zu bestimmen, und bald hat die Hauptfigur eine Schar entschlossener Getreuer um sich gesammelt, die sich für sie sogar in Stücke reißen ließen, wenn es sein müsste!
Vor allem, wenn völlig Fremde sofort Zuneigung zum Protagonisten fassen, ist das ein Warnzeichen. Dass ein Milliardär nach nur einem kurzen Gespräch einen Jugendlichen an Sohnes Statt annimmt, ist nicht mehr glaubwürdig, das ist Wunschdenken von Seiten des Autors. Das Problem ist: Wenn alle die Hauptfigur lieben, liebt sie eine mit Sicherheit nicht: Die Leserin.
(Das ist zwar kein großer Verdienst, aber diesen Fehler beging ich nie, und es gibt wohl noch einige Autoren mehr, die ihre Hauptfiguren nicht in Watte packten. Wir begingen dafür den folgenden Fehler:)
Alle sind sooo böse zur Hauptfigur!
Oh, Drama! Oh, Elend, oh Undank, schändlichster Lohn! Oh Schmach, oh Schande! Wehe mir, dem jammervollsten Protagonisten!
Seine Feinde hassen ihn. Seine Freunde auch. Seine Eltern, wenn sie denn noch leben, hassen ihn ebenfalls. Falls ihn seine Eltern geliebt haben, sind sie gleich nach seiner Geburt gestorben.
Wo er auch wandelt, Unheil ist sein Geleit und Verachtung sein Brot. Seine Tränen versalzen ihm den Trank, und wenn er nicht gerade verprügelt wurde, dann wird er in einer Schlacht halb totgeschlagen oder irgendwo unschuldig geteert und gefedert.
Anfängerautoren wissen noch nicht, dass auch Leid überdosiert werden kann. Leiden die Figuren ohne Ende, verwirken sie das Mitleid des Lesers, denn die Schicksalsschläge, die einzeln ernst und schmerzvoll wären, werden banalisiert, wenn sie auf die Figur herabprasseln wie ein Regenguss. Fiktives Leid kann die Leser tief berühren, denn es weckt in ihnen Erinnerungen an schmerzvolle Ereignisse aus dem echten Leben oder dient als „Memento mori“; doch dazu muss man ihm Raum geben. Wenn man Elend auf Elend und Qual auf Qual häuft, heben sich alle gegenseitig auf; dann ist die Handlung nicht mehr tragisch, sondern nur noch ein Potpourri der Scheußlichkeiten.
Interessanterweise umschiffen die Verursacher dieses Fehlers souverän eine andere Klippe der Schriftstellerei: die Klippe namens „Wenn sie nicht daran zerschellen, werden sie nur stärker!“ – Die Figuren in Trivialromanen erfreuen sich ja oft übermenschlicher Resilienz, erleben die schlimmsten Traumata, und wandeln am Ende in ihr rosarotes Happy-End, ohne den kleinsten Kratzer in der Psyche. Krieg? Verkraftet! Die Familie wurde vor seinen Augen ermordet? Verkraftet! Er hing am Galgen, fiel aber nach drei Minuten herunter, weil unter seiner Muskelmasse der Strick abriss? Verkraftet! – Die Anfänger mit Hang zur Überdosierung des Dramas unterwerfen sich hier nicht dem Mainstream. Hier gibt es gebrochene Figuren und zerschundene Seelen, hier trägt man an den Sünden der Väter noch bis in die nächste Generation, hier ist Liebe nicht das Allheilmittel, weil eine komplette Heilung nicht möglich ist.
(Ich hatte auch solch einen „Liebling des Unheils“ in einem meiner frühen Projekte. Was der nicht alles aushalten musste!)
Pseudophilosophisches Gelaber
Anfängerautoren neigen dazu, weitschweifig über die Welt, deren Sinn oder Unsinn, Frieden und Freiheit, Bücher und Demokratie und dergleichen mehr zu schwadronieren; in der Hauptsache, es klingt umständlich und poetisch. Wenn diese Gedankengänge Tiefe aufweisen, dann sei ihnen das gegönnt; meistens sind sie aber sehr seicht, fast jeder hat schon einmal dasselbe gedacht bei einem Anfall von Sentimentalität, und wenn in wuchtigen Worten nur Plattitüden geschildert werden, ist das eigentlich ziemlich peinlich. Die besten Einsichten sind übrigens kurz und knapp und passen in ein Bonmot. Selbst ein Aphorismus, der nur eine Binsenweisheit elegant ausdrückt, ist pseudoweisem Gefasel jederzeit vorzuziehen.
„Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zurande.“ (Goethe)
„Es liegt in der menschlichen Natur, daß man von jeder Einrichtung die Dornen stärker empfindet als die Rosen.“
(Bismarck)
Wir haben’s zwar alle auch schon vorher gewusst, aber so schön hat es noch niemand ausgedrückt!
Die Figur wird minutiös beschrieben
Gerade junge Autorinnen verspüren das Bedürfnis, dem Leser die (weibliche) Hauptfigur in allen Einzelheiten zu schildern, damit er sie ganz genau kennen und lieben lernt. Da erfährt man, dass die Augen der Protagonistin bei Tageslicht eine andere Nuance von Blau aufweisen als bei künstlichem Licht, und dass ihre Unterlippe im Vergleich zur Oberlippe ein wenig zu voll ist. Wir erfahren die Kleidergröße der Heldin, aber nie ihren BMI, und wir erfahren, welche Musikbands sie mag, welche Serien und welche Filme.
Noch hingebungsvoller werden wir über das Innenleben der Figur unterrichtet: Anstatt uns zu zeigen, wie der Charakter der Figur beschaffen ist, wird es uns erklärt. Sie ist fröhlich und lieb, manchmal sogar zu lieb, sie ist sehr tolerant und versteht sich bestens mit allen ihren Mitmenschen. (Auftritt einer zweiten weiblichen Person, die nicht die beste Freundin ist: Bumm! Die engelshafte Hauptfigur wird zur Gift und Galle speienden Furie, denn Frauen sind alle Zicken, und es darf nicht sein, dass in diesem Roman ein weibliches Wesen umherschwebt, das heißer oder klüger oder fähiger als die Heldin ist! Alle Menschen sind lieb, aber diese eine, diese eine – die ist die Bitch!ParExcellence!)
Besonders auffällig: Oft wird eine unbedeutende Aktion der Figur gleich um den Zusatz ergänzt, dass sie normalerweise ganz anders handeln würde.
„Ich entschied mich für die Schinkenpizza, aber normalerweise nahm ich immer die mit Salami. – Als Abschlussballkleid suchte ich ein gelbes Prinzesskleid aus, obwohl ich für gewöhnlich lieber Lila trug. – Der Bariton gefiel mir bei dieser Aufführung nicht, obwohl für gewöhnlich jeder Bariton mein Herz zum Schmelzen bringt.“
Wenn man einmal darauf achtet, stolpert man ständig darüber. Mal im Vertrauen: Wenn etwas nach Self-Insert schreit, dann das hier. Warum sollte es wichtig sein, dass wir über die unbedeutenden Kleider- oder Essensvorlieben der Protagonistin unterrichtet werden? Und wenn es denn unbedingt in die Geschichte hineinmuss, warum dann auf diese umständliche Weise, dass sich die Figur für etwas entscheidet, für das sie sich eigentlich nicht entscheiden würde, und sich deshalb genötigt sieht, uns zu erläutern, was ihr normalerweise gefällt?
Im wahren Leben enthalten viele Gespräche solche Wortwechsel. „Was willst du anschauen?“ – „Eigentlich mag ich keine Horrorfilme, aber dieser hier, bei dem der Kaiser und der Papst sich mitten im Investiturstreit verbünden, um die verheerende Invasion der Drachen zu beenden, spricht mich an.“ – Wunderbar, hier hat ein derartiges Gespräch seine Berechtigung; bestenfalls merkt sich das Gegenüber, dass es beim nächsten Horrorfilm jemand anderen mitnehmen muss. Aber bitte erspart uns das in Romanen!
Nur, wenn sich die Figur normalerweise für besondere Dinge entscheiden würde, jetzt aber mit dem Normalen Vorlieb nimmt, haben diese Erläuterungen ihre Berechtigung: „Für gewöhnlich vergiftete der Mörderkoch seine Opfer mit Mandeltörtchen; aber weil dem wackeren Apotheker die Blausäure gestern ausgegangen war, buk er für sein nächstes Opfer eben Muffins und bestreute sie mit Schneckenkorn.“
Kaffee
Zwei Fehler mit Kaffee:
In den Büchern erwachsener Autorinnen trinken Jugendliche Kaffee. Aber – welcher Jugendliche macht das? Als ich noch in der Schule war, zu der Zeit, als die wackeren Tageslichtprojektoren verdrängt wurden von diesen zickigen Beamern und den bescheuerten Plakatwänden – da trank von meinen 60, 70 Mitschülern des Jahrgangs nur ein einziger Kaffee. Wie war es bei euch? Die Kaffeephase bricht später an, oder nicht?
Und zweitens: Wenn die Hauptfigur Kaffee zu sich nimmt, wird immer erwähnt, ob Milch oder Zucker rein muss, am besten noch wie viele Löffel/welcher Anteil Milch … Aber – welche Leserin soll das interessieren? Wenn es etwas gibt, das nicht zur Handlung beiträgt, dann die Kaffeewünsche der Hauptfigur! Warum müssen die Leserinnen das wissen? (Es sei denn, er wünscht statt Milch Blut. Dann hat er sich verraten und ist ein Vampir.)
Oder sollen die Kaffeevorlieben zur Charakterisierung dienen? Wer den Kaffee schwarz trinkt, ist hart und unbeugsam, wer ihn mit Milch mag, ist sanft und natürlich, und wer ihn mit Zucker nimmt, ist süß und lieb? (Das ist falsch, sagen die Historiker.)
Es gibt hunderte gute Möglichkeiten, die Figur nebenbei zu charakterisieren. Die Vorlieben in Bezug auf Kaffee taugen nicht dazu.
Die rechte und die linke Hand der Protagonistin
In Anfängertexten winkt jemand mit der Hand. Andere nicken mit dem Kopf. Manche nicken zustimmend. Manche ergreifen die Klinke einer Tür mit der rechten Hand, drücken sie nach unten, stoßen die Türe auf und gehen hinaus. Andere schlagen das rechte Bein über das linke, setzen den rechten Ellenbogen aufs Knie und stützen das Kinn auf der rechten Hand ab. (Der Vogelweide war kein Anfänger, der stellte uns frei, welches Knie und welcher Ellenbogen gemeint sind.)
Manche neigen auch dazu, Orte derart genau zu beschreiben. Was steht rechts, was links, und ist das Bett nun links vom Papierkorb oder davor, und steht der Rucksack zwischen dem Tisch und dem Kühlschrank?
Absolut unwichtig. Das Bild, das der Leser im Kopf hat, muss nicht dem des Autors entsprechen wie ein Foto der Wirklichkeit. Eine grobe Ähnlichkeit reicht; die genaue Position irgendwelcher unwichtiger Gegenstände ist Wurscht. Für Gesten gilt dasselbe: Welcher Arm jetzt was tut, ist fast immer bedeutungslos; wenn man minutiös die Abläufe von Bewegungen schildert, verlangsamt man nämlich den Lesefluss ungemein. Linkes Bein, rechter Arm, linker Trizeps, rechter Quadrizeps, was wird das, Walzer oder ein Workout oder wie? Ach nein, wir erfahren, wie sich die Figur zum Schlafen bettet.
(Ausnahmen: Jemand hebt die linke Hand zum Schwur, obwohl er eine Rechte hat. Der hat bestimmt böse Absichten, dass er die falsche Hand nimmt! – Jemand schließt eine Ehe zur linken Hand. – Zwei Bischöfe streiten sich darüber, wer an des Königs rechter Seite sitzen darf. Der Streit endet in Mord und Totschlag. –> siehe Goslarer Sesselstreit)
Sagen wir „Du“ zu uns!
Dieser Trend ist überall! Höherrangige/ältere Nebenfigur sagt zur Hauptfigur: „Aber mein Lieber, ich bitte dich, sag Du zu mir!“ – Und dann verspricht sich die Hauptfigur in JEDEM BUCH und spricht ihr Gegenüber erst noch einmal aus Gewohnheit mit Sie an, ehe sie sich selber korrigiert. „Ich danke Ihnen, Herr Knalltüte – äh, DIR, Waldemar.“
Das ist wie eine Plage! Es ist überall! Selbst in einem meiner alten Historiendramen machen die das! Hilfe!
Fun Fact: Wilhelm I., damals noch Bruder des Thronerben, und seine Frau Augusta gingen erst mehrere Wochen nach der Hochzeit zum Du über. Wilhelms jüngerer Bruder und Augustas ältere Schwester hatten auch geheiratet, und die waren schon am Morgen nach der Hochzeit beim Du! Was Wilhelm und Augusta wohl davon hielten?
Fun Fact 2: Die Kurzgeschichte „Huwelreich – 2 Jahre später“ ist von dieser Anekdote inspiriert.
Zu viele Figuren auf einmal einführen
Anfänger überschwemmen die arglose Leserin gerne einmal mit ihrem Personal. Wenn in der ersten Szene die Heldin, ihre beste Freundin, der große Bruder der besten Freundin und der kleine Bruder der besten Freundin darüber debattieren, dass irgendjemand vermisst wird und jetzt gesucht werden sollte – nein, das ist zu viel des Guten. Zwar ist die Anzahl der Figuren überschaubar, und Leser sind schlaue Leute – aber trotzdem ist es unhöflich, dem Leser gleich eine ganze Handvoll neuer Figuren hinzuwerfen, von denen er nicht weiß, wer nun für den Handlungsverlauf von Bedeutung sein wird, und wer nicht mehr ist als Staffage. (Wenn die Staffage-Figuren keine Namen haben, sondern nur Berufsbezeichnungen etc. ist das hilfreich, denn nun sind sie schon fein einsortiert in die Kategorien „wichtig, weil wir kennen den Namen“ und „unwichtig, weil wir den Namen nicht kennen müssen“).
Auch wenn mehrere Figuren in der Szene auftreten, aber nur wenige miteinander interagieren, ist das in Ordnung. (A la: „Auf dem Ball unterhalten sich die zwei besten Freundinnen mit dem greisen weisen Kanzler, und ab und zu weht Prinz Ludwig vorbei und zwinkert der Heldin zu, oder die Tratschtante Gräfin Guthild redet schon seit einer halben Stunde auf die arme Margarete ein. Das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf dem Gespräch der drei Erstgenannten.) Hier wird der Leser darauf vorbereitet, dass in den Folgeszenen noch einige Figuren mehr dazukommen werden, die der Hauptfigur schon bekannt sind. Der Leser aber hat die erste Gruppe schon kennengelernt, und wird deshalb von der ausführlicheren Einführung der nächsten Gruppe nicht überfordert.
Zu schnelle Perspektivwechsel
Dieser Fehler ist mit dem vorhergehenden verwandt. Natürlich ist es eine der schönsten Sachen des Bücherlesens und -schreibens, dass man in verschiedene Köpfe hineinsehen kann. Extrapunkte, wenn sich die Sichtweisen der Figuren sprachlich deutlich unterscheiden! Damit diese Technik aber ihre Wirkung entfaltet, dürfen die Szenen unterschiedlicher Figuren nicht zu kurz sein. Sie sollten sich mindestens über mehrere Seiten erstrecken.
In den Texten von Anfängern erfolgen die Perspektivwechesel oft viel zu schnell. Vielleicht versprechen sich die Autoren davon eine Steigerung der Spannung – doch das Gegenteil ist der Fall. Der Text wirkt atemlos, es kommt kein Lesefluss auf, und das ständige Umherspringen zwischen verschiedenen Köpfen ist unangenehm. Was die jeweilige Figur erlebt, kann im Leser nicht nachhallen, denn schon wird es unterbrochen von einem neuen Schnipsel.
Später im Roman mag diese Technik ihre Berechtigung haben; gerade beim Finale kann die Geschichte aufgrund des schnellen Wechsels von Schauplätzen und Perspektivträgern rasant an Fahrt aufnehmen. Doch die Technik funktioniert nur, weil die Leser zu diesem Zeitpunkt mit den Figuren wie auch den Umständen vertraut sind; wenn die Geschichte am Anfang zwischen wildfremden Figuren an unbekannten Schauplätzen in unbekannten Situationen oszilliert, entsteht nicht Spannung, nur Überdruss.
Ähnliche Namen
Alina, Alex, Andrea und Anna sind zu viel des Guten. Norbert und Herbert? Franz und Karl? Lieber nicht. Ulf und Urs? Sehr fies. – Gerd, Gernot und Gere? Das wird interessant werden.
Dieselben Anfangsbuchstaben sind ziemlich kritisch. Wenn die Namen dafür unterschiedlich lang sind, kann es gehen. Fritz und Fidelius sind dann doch recht gut auseinanderzuhalten. Auch ähnliche Endsilben können zu Verwirrung führen, und sogar ähnliche oder gleiche Vokale: Tatsächlich habe ich beim Lesen meines eigenen Buches manchmal Dietrich und Hildebrand verwechselt.
Einfach unbeschreiblich!
Wenn eine Figur in der wörtlichen Rede das Wörtchen „unbeschreiblich“ verwendet, will ich nicht meckern. Aber wenn der Erzähler etwas als „unbeschreiblich“ bezeichnet und dann davon ausgeht, die Leser sind von diesem unbeschreiblichen Objekt/Ereignis/Wesen ebenso hingerissen wie der Autor selber, dann hat er sich getäuscht. Wer Autor sein will, darf vor dem Unbeschreiblichen nicht kapitulieren.
Nervige Ticks, die keine sein sollen
Den Figuren Ticks zu verleihen, ist eine charmante Idee. Sie scheinen dadurch gleich plastischer. (Das Dumme daran ist, dass man diese Ticks über ein ganzes Buch hinweg beibehalten muss. Und dabei neigen doch Ticks dazu, plötzlich in der zweiten Hälfte zu verschwinden, weil der Autor sie vergessen hat! Irgendeine aufmerksame Leserin bemerkt es immer. Lesern entgeht nichts. (Außer vielleicht das kaum wiederzuerkennende Bismarckzitat, das ich einer Figur in „Dietrich von Bern“ aufoktroyiert habe. Ich hätte es fast selber nicht mehr erkannt.))
Anders verhält es sich mit Handlungen, die immer wiederkehren, ohne dass es dem Autor bewusst ist. Das kann rasch nervig werden. Ganz beliebt ist – das Lächeln. Im wahren Leben eine schöne Sache – aber in Büchern sollte man es sparsam einsetzen. Dauerlächler sind echt nervig.
Auch das „auf der Unterlippe kauen“ kann schnell zu viel werden und wirkt außerdem sehr kindisch. Einmal las ich ein Buch, in dem die Hauptfigur sich ständig „die Lippen befeuchtete“ – ich fand’s eklig.
Das Schwierige natürlich ist, diese Häufungen von Lächeln, Lippenkauen usw. zu entdecken. Aber ist man einmal davor gewarnt, ist man auf der Hut!
Unnötige Synonyme
In der Grundschule bringt man uns bei, dass man nie mehrmals dasselbe Wort verwenden darf, wenn es auch ein Synonym dafür gibt. Manchen Autoren geht dieser Humbug noch jahrelang nach, und fleißig garnieren sie ihre Texte mit den schönsten und abwegigsten Synonymen.
Wenn es vorher nur „Wein“ war, muss es beim nächsten Mal „das fermentierte Blut der Reben“ heißen! Man darf nur einmal im Kapitel das Wort „Blut“ verwenden; bei der zweiten Erwähnung nehme man bitte „der rote Lebenssaft“; was vorher ein „Haus“ war, muss nachher ein „Gebäude“ sein, und so weiter. Ein Kaiser ist ein Monarch, ein Staatsoberhaupt, ein Herrscher und ein Regent. (Wer stellvertretend für den Kaiser dessen Aufgaben ausführt, ist auch ein Regent, aber kein Kaiser.)
Dabei ist nichts falsch an Begriffen wie „Haus“, „Wein“ und „Kaiser“; doch wenn ständig wirre Synonyme ihren Platz einnehmen, wirkt der Text schnell bemüht und verkrampft.
Angst vor der szenischen Tiefe
So gerne Anfängerautoren Frühstückssituationen schildern und entspannende Stunden im Spa-Hotel – so sehr fürchten sie die wirklich wichtigen Szenen. Sobald es spannend wird oder dramatisch, sobald die Leserin sich freut, jetzt gleich in die Handlung hineingezogen zu werden, alles mitzuerleben, als wäre sie dabei – da kneift der Autor und lässt nach ein paar kurzen Sätzen die Szene enden. Es scheint, als befürchte er, wenn er nun detailgenau den Verlauf der epischen Schlacht oder den Ablauf der Verhandlung über Krieg oder Frieden schildere, würde er die Leser langweilen.
Natürlich nicht! Wir lesen Bücher wegen der Konflikte, nicht wegen der plastischen Schilderungen des Alltags. Frühstücken kann jeder; aber nicht jeder ist schon einmal an der Seite von Attila dem Hunnenkönig in die Schlacht geritten oder hat dem Erzbischof von Gran drei Kisten Gold abgeschwatzt. Die Leser sind wegen der großen dramatischen Szenen hier; geben wir ihnen, was sie verlangen! Sie sollen spüren, was die Figur fühlt, sie sollen bangen und hoffen, in der Geschichte versinken und ganz gefesselt sein. Oder wir schreiben alles in auktorialer Erzählweise, mit satirischem Unterton, oder wir schildern alles lapidar, denn manchmal wirkt gefühllose Berichterstattung stärker als alles gefühlsselige Pathos. Ganz gleich, wie wir es umsetzen: Geben wir der Szene Luft! Nur wer feige vor ihr davonkriecht, hat es falsch gemacht.
Der Autor sagt, wie es ist
Anfängerautoren gehen davon aus, dass das geschriebene Wort stärker ist als ein Ziegelstein. Was man Schwarz auf Weiß besitzt, kann man nicht nur getrost nach Hause tragen, sondern das muss man glauben, ohne es zu hinterfragen. In rührendem Vertrauen auf ihre literarische Schöpfungskraft glauben die Anfänger, alles, was sie schreiben, wird der Leser ihnen abnehmen. (Siehe oben, die Ausführung zu intelligenten (?) Figuren). Die Figur ist sympathisch, nett und schön, weil der Autor das behauptet. Die Figur ist der beste Kämpfer, weil die Autorin das behauptet. Sie ist auch eine hervorragende Spionin im Dienste des Kaisers – die Leser sehen sie zwar nie spionieren, aber es wurde ja am Anfang erwähnt, also glauben sie es bestimmt!
Der Autor hängt dem Trugbild an, er habe hochkomplexe, unverwechselbare Figuren geschaffen – in Wirklichkeit hat er nur ein paar Adjektive angehäuft. Zu diesem Pappkameraden, der durch die Geschichte stolpert, passen die Adjektive freilich nicht.
Man sollte den Leser nicht betrügen. Wer den Eindruck erweckt, es ginge in seiner Geschichte um eine unnahbare Königin, die auch Vampirin ist, Kriege gegen die Nation der Werwölfe führt, Englands Kolonialreich zerschlagen will und bereits seit fünfhundert Jahren nach einem Ehemann sucht, der ihre Ansprüche erfüllt (nach der ersten Verliebtheit hat sich jeder potenzielle Gemahl als unzureichend herausgestellt und endete als Hauptgang), und dann tischt er den Lesern die immer gleiche Liebesgeschichte auf, die Vampirin wird zum pampigen Gör, das vor einem eigenschaftslosen Typen dahinschmilzt, blabla … Der muss sich nicht wundern, wenn es den Lesern nicht gefällt. Die Verpackung muss zum Inhalt passen.
Ein Roman ist Arbeit, und Leser sind keine leicht zu beeindruckenden Einfaltspinsel. Leser sind intelligent, sie hinterfragen, sie finden Fehler und Löcher im Handlungsstrang. Geben wir unser Bestes für unsere Leser. Sie verdienen es.
Und zum Schluss: Der allererste Anfängerfehler
Jeder Anfänger durchläuft einmal die Phase, in der er dem soliden Sprecherverb „sagen“ untreu wird. Es gibt ja zig bessere! „Ächzen“ und „nuscheln“, „erwidern“ und „sich erkundigen“, „nachhaken“ und „wissen wollen“, „krächzen“ und „knurren“, „brummen“ und „murmeln“, „lächeln“ (das ultimative Eigentor), „nicken“, „zustimmen“ …
Aber keine Sorge, liebes „sagen“: Irgendwann kommen sie alle wieder zu dir zurück.
Das war’s …
Das waren die Anfängerfehler, die jeder Autor begangen haben muss, ehe er sich weiterentwickeln kann. Denn wie sagte unser großer Goethe: „Stolpern fördert!“
Du wirst, was du schreibst oder Wie das Schreiben Autoren verändert
Autoren – lichtscheue Wesen, die gebückt wie ein brillentragendes Rumpelstilzchen auf ihre Tastaturen einhacken. Introvertierte Träumer, die viel lieber große Kämpfer mit blutiger Streitaxt wären, oder zarte Prinzessinnen, oder zarte Prinzessinnen mit blutiger Streitaxt. Autoren sind doch alle gleich, von der Jugend bis zum Alter. Oder nicht?
Schreiben verändert uns. Nicht nur, dass wir Organisationstalent und Selbstdisziplin entwickeln, Begeisterungsfähigkeit und Durchhaltevermögen – unsere Texte verändern uns noch auf ganz andere Art, auf unheimliche Art: Du wirst, was du schreibst.
Wer sich ganz in seine Figuren einarbeitet, wer sich täglich stundenlang damit beschäftigt, die Welt aus der Sicht eines traumatisierten Cholerikers, einer arroganten Hochsensiblen, einer pedantischen Hochadligen oder eines arbeitssüchtigen Kaisers zu schildern, der nimmt Züge seiner Figuren an. Das passiert ganz von selber, man muss nichts weiter dazu tun. Stundenlang richten wir unsere Konzentration darauf, den erfundenen Charakter erfundener Figuren möglichst glaubwürdig nachzubilden – das färbt ganz selbstverständlich auf uns ab. Wir erfinden spannende Figuren für den Leser, und eignen uns dabei neuartige Denkweisen an. Was wir uns ausdenken, prägt uns, und manchmal auf gravierende Weise.
Ich beobachte dieses Phänomen schon seit längerer Zeit (und es wird von Buch zu Buch deutlicher). Hier eine Liste meiner bisherigen Bücher, und wie die jeweiligen Hauptfiguren während des Schreibens auf mich abgefärbt haben:
Der Kaiser von Huwelreich
Weibliche Hauptfigur: Pedantische Prinzessin, tadellose Manieren, sehr auf Einhaltung der Etikette bedacht, hohe Selbstbeherrschung, sieht anderen etwaige Fauxpas jedoch großzügig nach, charakterlich recht gefestigt
–> Einfluss auf mich: Ich fühlte mich recht gefasst, übte gerne Nachsicht mit den alltäglichen Schwächen der Menschen. Allgemein war ich guter Laune.
Männliche Hauptfigur: Liebeskranker Prinz
–> kein Einfluss auf mich
Die Rose von Huwelreich
Weibliche Hauptfigur: Narzisstische Hochsensible, die meint, sie habe ein schreckliches Leben, so viele Pflichten, keine Freude, versinkt in einem Ozean aus Selbstmitleid, …
–> Dieses Buch zu schreiben war eine Qual, ich musste mich durchkämpfen, manchmal schrieb ich ins Manuskript „Ich hasse dieses Buch. Ich hasse dieses Buch“ …
Männliche Hauptfigur: Arbeitsamer Kaiser, von schlichtem Gemüt, wenig emotionale Tiefe, aber wohlmeinend
–> Diese Szenen waren einfach und schnell und machten Spaß
Der König von Blauwittern
Weibliche Hauptfigur: Traumatisierte, unterdrückte Prinzessin. Glaubt, sie dürfe nicht für sich selber eintreten. Glaubt, sie hat kein Recht auf Respekt
–> Ich bekam Angst vor dem Zorn anderer Leute. Ich gab mir große Mühe, anderen nicht zur Last zu fallen oder ihren Unwillen zu erregen
Männliche Hauptfigur: Wagnerfan und verrückt
–> Ich war schon vorher Wagnerfan, es hat sich nichts verändert
–> Ich war schon vorher verrückt, es hat sich nichts
Wie man einen Kaiser erpresst
Männliche Hauptfigur: Liebenswürdiger Workaholic-Kaiser
–> Ich schrieb dieses Buch in 9 Tagen, auch wenn es hart und anstrengend war, auch wenn während der letzten drei Tage ständig mein Augenlid zuckte und ich keine Freizeit mehr hatte, denn man muss sich durchbeißen!
Weibliche Hauptfigur: Trotziges Dienstmädchen, das eisern seine Träume verfolgt
–> Siehe oben!
Dietrich von Bern
Männliche Hauptfigur: Gemütlicher Held, selbstsicher und selbstgerecht, schleppt noch einen alten Mann mit sich herum, der immer meckert
–> Ich war weder gemütlich noch Held, aber die meckernden Leuten dieser Welt habe ich endlich durchschaut!
Die Antagonisten: Viel toller als der Held, weil intrigant und vom Königshof und so weiter …
–> Es ging mir wunderbar!
Der Kaiser, sein Feind und der Krieg
Auktorialer Erzähler, der mit spitzer Zunge schwadroniert, wie man es im 19. Jahrhundert zu tun pflegte
–> Mir ging es super! Ich bin im tiefsten Innern nämlich ein Bramarbaseur des 19. Jahrhunderts
Der König von Burgund und die Geisel
Männliche Hauptfigur 1: Zweifler, Jammerlappen
–> jeder Satz war eine Qual, jeden Satz musste ich hinterfragen, jede Metapher, es war doch alles schon einmal da, ist das nun Kitsch oder Pathos oder schlecht, so langsam wie hier schrieb ich noch nie, ach Weh, soll ich das nicht doch wieder streichen? Ach, ich weiß auch nicht, und nun will ich eine Pause machen und darob klagen, wie schwer mir heuer das Schreiben fällt …
Männliche Hauptfigur 2: Hart und unbeugsam und eisern und unzerbrechlich und immer aggressiv und gleich auf 180!!!!!
–> Ich biss mich durch, selbst wenn mir die Motivation fehlte! Man muss hart zu sich selbst sein, und ich habe mich geärgert, ständig, ich hätte rasen können, und wenn ich auch müde war, schrieb ich doch noch weiter, sogar beim Sport war ich zäher als sonst, und ich gehe jetzt und erobere ein Land für meinen König – äh – so ungefähr.
Männliche Nebenfigur: Tyrann, grantig, Giftmischer
–> Haben diese Szenen Spaß gemacht! Die gingen schnell, und zack, schon waren sie fertig. Ich habe offenbar ein Talent für Schurken …
Weibliche Nebenfigur: Kleine, intrigante, manipulative Schwester
–> Wie kann man seine Brüder nicht mögen? Blöde Figur. –> Kein Einfluss auf mich.
Fazit:
Was auf mich am meisten abfärbt, ist die Grundstimmung, die ich der jeweiligen Figur zugeordnet habe. Kein Wunder; die Grundstimmung gleicht einem Basso continuo, der immer in jeder Szene mitschwingt. Was die Figuren wahrnehmen, ist durch ihre jeweilige Grundstimmung gefiltert: Wenn ich aus der Sicht eines Hitzkopfs schreibe, schlage ich einen viel aggressiveren Ton an, als wenn ich aus der Sicht einer kühlen Intrigantin schreibe.
Es bleibt festzuhalten, dass diese Beeinflussung meiner persönlichen Stimmung von Buch zu Buch zunimmt. Gerade das aktuelle Projekt ist wirklich krass, es wechseln sich Tage voller Unentschlossenheit und Selbstzweifel ab mit Tagen des Durchbeißens, mir wächst Entschlossenheit zu, wie ich sie noch nie gekannt habe, und die wenigsten wissen das, aber in mir drin steckt ein mächtiger Choleriker, und der will platzen!
Wie geht es euch? Habt ihr schon einmal etwas Ähnliches bei euch beobachtet?
KvB 11. Oktober 2018
Das Projekt läuft! In zwei Wochen habe ich einen ganzen DIN-A4-Block vollgeschrieben, beidseitig! Das ergibt ca. 90 Buchseiten. Seit vorgestern allerdings bin ich am Diktieren, und während des Diktierens fühle ich mich immer so unproduktiv. Dann diktiere ich extra schnell, damit ich nicht so viel Zeit verplempere, und das Diktierprogramm versteht mich prompt noch schlechter. Leider beherrscht Dragon nur Konjunktiv I, nicht II. Welcher Konjunktiv wird bei meinen Büchern am häufigsten verwendet? Ja, genau … Auch mit Partizipien hat es Dragon nicht so, und je nach Laune schreibt es „Sie“ groß, der Höflichkeitsform wegen, oder klein. Und ständig tritt ein gewisser Marc Graf auf. Das erinnert mich gerade an den Botschafter Frankreichs 1870, Graf Benedetti, der Wilhelm I. auf der Kur ständig störte wegen der spanischen Thronkandidatur. Benedetti hieß Vincent; dabei wäre es viel lustiger gewesen, wenn er Benedetto geheißen hätte!
Noch ca. zwei Szenen, und „Der König von Burgund und die Geisel“ ist – fertig!
Dann folgt die aufwändige Korrektur des Diktierblödsinns, und danach wird es eine Weile auf Eis gelegt und anschließend erneut überarbeitet. Ich kann es schon gar nicht mehr erwarten, bis es erscheint! Es ist mein Lieblingsprojekt, und ich hoffe, dass es den Leserinnen auch so gefällt wie mir.
Die erste Hälfte/das erste Drittel von Band zwei sind übrigens auch schon geschrieben, und es geht actionreich weiter! Kämpfe, und Brände, und Diplomatie!
Titel-Casting: Das große Finale!
Heute ist es soweit: Wir enthüllen den Titel für meinen neuen Roman! Ab heute wird das Projekt nicht mehr kryptisch „KvB“ heißen, sondern einen richtigen Namen haben!
Nur noch zwei potentielle Titel sind im Rennen:
Der Kaiser von Berlin
und
Der König von Burgund
Wer kommt auf das Cover meines neuen Romans?
Wovon wird mein neuer Roman handeln?
Der Kaiser von Berlin:
Beinahe hätte das Leben dieses preußischen Prinzen und künftigen Königs gleich am Tag seiner Geburt wieder geendet, denn kaum war er auf der Welt, atmete er schon nicht mehr. Die Hebamme Fräulein Stahl war es, die ihm mit einem Handtuch so kräftige Schläge gab, dass er wieder zu Bewusstsein kam.
Der Arzt hatte bei der schweren Geburt Wilhelms linken Arm irreparabel verletzt – der Arm blieb sein Leben lang verkürzt, selbst eine normale Benutzung von Messer und Gabel war Wilhelm nicht möglich.
Seine narzisstische Mutter verzieh ihm diesen Makel nie, und bestrafte alle kindliche Zuneigung mit Bitterkeit und Kritik. Noch Jahre später erzählte Wilhelm dem russischen Außenminister, dass ihn seine Eltern nie geliebt hatten. Der russische Außenminister war weniger mitfühlend als vielmehr befremdet.
Seine Großeltern väterlicherseits hatten ihn dafür umso lieber, denn sie waren keine Geringeren als Wilhelm I. und Augusta, Kaiser und Kaiserin des Deutschen Reiches.
Am 15. Juni 1888, nach dem frühen Tod seines schwerkranken Vaters, bestieg Wilhelm im Alter von 29 Jahren den Thron. An seiner Seite: Fürst Otto von Bismarck, Kanzler und Genie, Architekt der deutschen Einheit von 1871 und Meister der Bündnispolitik. (Nach anderer Lesart: „Dämon“, Unterdrücker und Kriegstreiber, Machiavellist und Ränkeschmied.)
18. März 1890: Nach verschlungenen Intrigen wurde Bismarck nahegelegt, sein Rücktrittsgesuch zu verfassen. Das letzte. (Es war das einzige von mehr als einem Dutzend Rücktrittsgesuchen, das angenommen wurde.)
Als „Alter im Sachsenwald“ wütete er fortan gegen den Kaiser, legte testamentarisch fest, dass auf seinem Grabstein nur „Fürst von Bismarck, ein treuer deutscher Diener Kaiser Wilhelms I.“ stehen sollte, und veröffentlichte in einer ihm treuen Hamburger Zeitung geheime Staatspapiere. Man wecke niemals den Zorn eines Bismarck!
Wilhelm II. ließ das Bündnis mit Russland auslaufen, band sich noch enger an Österreich-Ungarn, schickte Transvaals Ohm Kruger ein Glückwunschtelegramm zur erfolgreichen Zurückschlagung des Jameson-Raids, wurde daraufhin von den internationalen Medien verdammt für die Beglückwünschung; stieß mit seinen Reden Leute vor den Kopf, erklärte seinen Soldaten gleich nach der Thronbesteigung, dass sie im Falle eines Falles selbst auf ihre Väter und Brüder schießen müssten; war Wagnerfreund, gewann Kolonien; er verhinderte nicht den Völkermord an den Herero und Nama, er entsetzte die Weltöffentlichkeit mit der Hunnenrede, er war ein Jäger furchtbaren Ausmaßes, er kümmerte sich nicht um Standesschranken; als er einmal bei einem Besuch in Deutschlands Osten erfuhr, dass ein Dorf drüben in Russland völlig niedergebrannt war, fuhr er kurzerhand hin und schenkte den obdachlosen Bauern Geld für den Wiederaufbau; in der Weihnachtszeit schritt er mit dem weißen Mantel und dem Adlerhelm auf dem Kopf durch Berlins Straßen und verteilte Geld an Arme, und er erklärte noch im Exil: „Ich habe den Krieg nicht gewollt.“
Vielfältig interessiert, sprunghaft und intelligent – er entwarf Uniformen, leitete Ausgrabungen, malte und zeichnete, entwarf eine Eschenbach-Statue für das Wagnerdenkmal in Berlin, schrieb Bücher, erfand die Wattestäbchen, führte Wetterbeobachtungen, dirigierte, ohne Dirigieren gelernt zu haben, wusste alles über Schiffe, wollte „sein eigener Bismarck“ sein, und im Kriege wurde er immer mehr zu einem Schattenkaiser, an die Wand gedrängt von der mächtigen OHL. Über seine Rolle beim Ausbruch des Weltkrieges wurden schon tausende von Seiten geschrieben, und noch immer besteht kein Konsens unter den Historikern. Er träumte noch im Exil davon, dass er wieder zurück auf den Thron gelangte, und sah schon seine Chancen steigen mit einer neuen aufsteigenden Partei – zumal einer der Partei-Granden ihm versicherte, sie wollten die Monarchie wiedereinführen. Wir wissen, was geschah, und auch Wilhelm erkannte, dass keine Aussicht auf Rückerlangung seines Throns bestand. Er empörte sich über die Ereignisse des 9. November 1938, und doch schickte er noch 1941 ein Glückwunschtelegramm zum Sieg über Frankreich. In seinem Namen erschien im Jahre 1938 in einer US-amerikanischen Zeitung ein Interview zu Deutschlands Regierung, in dem Kaiser Wilhelm II. verriet, was er vom Kanzler und Reichspräsidenten hielt: „Nichts.“ „But of our Germany, which was a nation of poets and musicians, of artists and soldiers, he has made a nation of hysterics and hermits, engulfed in a mob and led by a thousand liars or fanatics …“ (Zit. n. Friedrich Wilhelm Prinz von Preußen „Gott helfe unserem Vaterland. Das Haus Hohenzollern 1918-1945“, München 2003, S. 150)
Für jede Aussage von Wilhelm II. findet man eine andere, die das genaue Gegenteil verkündet. Was er hasste, liebte er, und was er liebte, hasste er. Er machte Scherze und hatte einen gewaltigen Hang zum Aufschneiden, und meinte er wirklich alles ernst, was er sagte? Sein Heer und seine Marine bereiteten ihm riesige Freude – aber wollte er sie wirklich einsetzen? Manchen schien es, als freue er sich daran wie ein Kind, das sein Spielzeug nicht kaputtmachen will. Hat er den Krieg gewollt? War es ein Präventivkrieg, lange geplant im deutschen Generalstab? Schlitterte Wilhelms Deutschland wie alle anderen ungewollt in einen Weltkrieg? War er unzurechnungsfähig? War er eiskalt und berechnend? War er überfordert mit seinem Amt? War er ein Schurke, der seine narzisstische Wunde mit Weltherrschaftsplänen zu heilen trachtete, oder war er eine tragische Gestalt, im Herzen ein schwacher Monarch, hinter dessen Pomp und Gloria nur ein Junge kauerte, der geliebt werden wollte? Können wir ihn je verstehen, durchschauen? Konnte er es denn selber?
Der König von Burgund:
Gunther von Burgund gilt allgemein als schwacher Monarch. Er steht im Schatten seines übermächtigen Lehnsmanns und Beraters, und seine herausragende Eigenschaft im Nibelungenlied ist die Wankelmütigkeit. Aber er ist auch durchaus liebenswürdig, will eigentlich mit allen gut Freund sein, mehrt gerne den Reichtum Burgunds, verschließt sich mit Vorliebe der Realität, und ist ganz schön intelligent, denn er liefert sich mit Hagen ein paar der besten Wortwechsel des Epos, voller Subtext politischer und persönlicher Natur. Subtext ist super. Eigentlich ist Gunther ganz Gentleman, denn bei der Donauübersetzung spricht ihn Hagen missgelaunt mit „Du“ an, und Gunther bleibt respektvoll beim „Ihr“. Kritik durch vorbildliches Verhalten – das ist die feine rheinische Art.
In der Lesart aller Leser sind seine Kampfkünste nur solala – er übersteht den Kampf gegen die Hunnen, den Brand des Saals, den Kampf gegen Rüdegers Männer und gegen die Männer von Dietrich von Bern, und das über mehrere Tage hinweg. Ich glaube, im Vergleich zu den Wormsern sind alle anderen Helden Weichlinge.
Hagen ist Gunthers treuester Lehnsmann und Berater. Er ist praktisch sein Bismarck. Oder Metternich. Oder Rainald von Dassel. Oder Mercurino Gattinara. – Genug der treuen Monarchisten, Hagen braucht keinen Vergleich. Er ist schließlich der Prototyp des treuen Monarchisten. Er ist viel cooler als die anderen Figuren des Nibelungenlieds, denn er ist treu, klug, listig und ein überragender Kämpfer. Manche sagen, er sei ein Verräter, weil er Siegfried umbringt – aber warum um Himmels willen sollte er einem Kerl treu sein, der nicht sein König ist? Und selbst wenn der Kaiser von China zu Besuch nach Worms käme, müsste Hagen ihm auch nicht treu sein. Er ist, um einen unzeitgemäßen Begriff zu bemühen, Realpolitiker durch und durch. Er ist immer bedacht auf die Ehre des Reiches. Und auf die eigene Ehre, denn wenn jemand seine Ehre zu kränken wagt, stirbt er lieber, als dass er diese Kränkung auf sich sitzen lässt. Er schmiedet gerne Ränke, und in Wagners Götterdämmerung ist er übrigens ein Hobby-Giftmischer und mobilisiert mit Vorliebe das Heer.
Die Handlung des Nibelungenlieds ist ja weithin bekannt. (Tumber Held kommt in die Metropole Worms, führt sich rüpelhaft auf, Wormser beschwichtigen ihn, benutzen seine Heldenkraft als Werkzeug für diverse ehrliche und unehrliche Unternehmungen, tumber Held heiratet Kriemhild, Gunther heiratet Brünhild, Frauenstreit, Wormser bringen Siegfried um aus Gründen der Ehrenrettung der Königin (im Mittelalter brachte man sich schon wegen viel geringerer Vergehen um! Markgraf Ekkehard von Meißen musste sterben, weil er das Essen der Schwestern von Kaiser Otto aufaß!), Hagen versenkt Schatz im Rhein, weil er als der Konservativste aller Konservativen auch nur konservativen Vermögensanlagestrategien vertraut, Kriemhild heiratet Etzel, Kriemhild lädt die Wormser ins Hunnenland ein, Kriemhild lässt 9000 Wormser Knappen umbringen, Hagen bringt Kriemhilds Kind um, Gemetzel bei Etzel, alle sind tot, bis auf die großen Drei, die sterben im Kapitel danach, fertig.) – Den Menschen des Mittelalters gefiel dieses abrupte, mächtige, paukenschlagähnliche Ende aber nicht. Irgendjemand dichtete eine lange Fortsetzung, in der es um die Trauer der Überlebenden geht, um die Beisetzungszeremonien, und in der im Übrigen Kriemhild von aller Schuld reingesprochen wird. (Frag mal einer die Mütter der armen 9000 Knappen.) Nein, nein, die Figuren des Nibelungenlieds sind alle moralisch grau, bis auf die weise alte gute Ute, die Mutter, aber auf weise alte Mütter hört ja nie jemand.
Widmen wir uns lieber der Vorgeschichte der Ereignisse! Den Kampf mit dem Drachen kennt jeder, aber was machten die Wormser früher? Als Siegfried nach Worms gehen wollte, warnte ihn sein Vater vor den gefährlichen Burgunden. Wie kamen sie zu diesem Ruf? Was für Ränke schmiedeten sie, welche Intrigen haben sie ersonnen?
Wir treffen Gibich, den alten König mit der Leidenschaft für Giftanschläge. An seiner Seite sein treuer Berater, der alte Herzog von Tronje, grantig und verlässlich. Er hütet düster ein böses Geheimnis. Wir treffen Otto von Sachsen, den König mit dem Herzen am rechten Fleck und der leeren Schatzkammer. Und wir treffen die prominenten Figuren: Kriemhild, die schon in der Jugend einen Hang zum Ränkeschmieden hat, aber ihre Listen hinter einer lieblichen Fassade versteckt. Gunther, der unglückselige Thronerbe, der beim Turnier immer aus dem Sattel fällt, dessen intellektuelle Neigungen der Vater verachtet, und der zum Ränkeschmied wird, weil er den offenen Kampf nicht wagt. Dabei will er doch nur ein guter König sein, aber seine Furcht vor der Macht ist Schwäche, und Burgunds Fürsten zerfleischen sich gegenseitig wie ein Wolfsrudel. – Und wir treffen auf Hagen, den Verwandten der Königsfamilie, der als Geisel am Hunnenhof leben muss bei König Etzel. Er würde am liebsten Priester werden, denn ihm als Neffe von König Gibich würde einst ein Bistum winken, und Bischöfe sind einflussreiche Besitzer von Grund und Hörigen, Politiker, die man nicht übergehen darf. Das mit dem Priestertum wird freilich nichts, und Hagen wird zum unbeugsamen Krieger. Bis er merkt, dass er auch Talent zur Diplomatie hat, und wer die Zunge und das Schwert zu führen weiß, ist ein gefährlicher Mann … Wir treffen außerdem auf Dietrich von Bern, Walther von Spanien, Volker von Alzey, Giselher und natürlich Gernot, Bischof Gerd von Worms, und das Pferd namens Totenwache ist auch dabei!
Wer kommt auf das Cover meines neuen Romans? Wer ist es?
Wann erfahren wir es?
Sag es uns!
Ich muss die Verkündung des Siegers noch zwanzig Minuten hinausziehen (so gehört sich das bei Castingshows), also machen wir erst einmal ein bisschen Werbung:
General Rudolf von Kückenstaal hat kein Talent zum Schlachtenlenker. Seine Frau Susanna dagegen ist ein Genie im Erstellen von Operationsplänen. Rudolf ist Mitarbeiter im Generalstab, seine Pläne aber stammen von seiner Frau. Dank ihres Talents gewinnt das Kaiserreich Huwelreich seine Feldzüge – doch eines Tages stirbt Rudolf. Das ist nicht nur eine Tragödie für seine Frau, das ist eine Tragödie fürs ganze Kaiserreich: Ohne Susannas Pläne wird Huwelreich seine Kriege wieder jämmerlich verlieren. Doch eine Frau beim Heer, das ist undenkbar … Da beschließt Susanna, den Tod ihres Mannes zu vertuschen und sich als General Rudolf Kückenstaal auszugeben. Es beginnt der größte Skandal, den Huwelreich je erlebt hat.
Der neue verrückte Roman von Lili Vogel erscheint demnächst!
Werbung Ende
Wer kommt auf das Cover – gut jetzt!
Bejubelt mit mir den Sieger:
Es ist „Der König von Burgund“! Exakter Titel: „Der König von Burgund und die Geisel“. Die Wormser haben gewonnen! Juhu!
Und ein Trostpreis für alle, die traurig sind, weil nicht „Der Kaiser von Berlin“ gewonnen hat:
Ich habe bereits ein Buch zum Thema geschrieben. Eigentlich fünf.
Denn Kaiser Johann von Hohenmeiningen ist zu einem Drittel inspiriert von Kaiser Wilhelm I., zu zwei Dritteln aber von Kaiser Wilhelm II., so, wie ihn seine Freunde und Anhänger sahen. Kaiser Johann hat tausend Hobbys, ist immer gut drauf, immer voller Tatendrang, raubt allen anderen den letzten Nerv, Kaiser Johann will jeden Tag Geburtstag haben, immer geliebt sein, aber er würde nie etwas Böses tun wollen. Er ist im Herzen immer Kind geblieben, das spielen will, und im tiefsten Innern hat er nur gute Absichten.
Und noch eine weitere Figur ist von Kaiser Wilhelm II. inspiriert, nämlich Guntram von Friedenfels. (Zu 50 Prozent ist er caußerdem von Franz Joseph inspiriert, und zu ca. zehn Prozent vom Merowingerkönig Guntram, der zum Teil wiederum ins Nibelungenlied einging als Gunther, und meine Figuren sind praktisch alle dieselben.) Der Friedenfelser ist so, wie Wilhelm sein wollte. Folgendes Zitat von Wilhelm ist die Basis seiner beiden literarischen Alter Egos (Zit. n. Michael Balfour, Kaiser Wilhelm II. und seine Zeit, 1979 Frankfurt-Berlin-Wien, S. 272)
„Ich habe mir gelobt, auf Grund meiner Erfahrungen aus der Geschichte niemals nach einer öden Weltherrschaft zu streben. Denn was ist aus den großen sogenannten Weltreichen geworden? Alexander der Große, Napoleon der Erste, alle die großen Kriegshelden, im Blute haben sie geschwommen und unterjochte Völker zurückgelassen, die beim ersten Augenblick wieder aufgestanden sind und die Reiche zum Zerfall gebracht haben.
Das Weltreich, das ich mir geträumt habe, soll darin bestehen, daß vor allem das neuerschaffene Deutsche Reich von allen Seiten das absolute Vertrauen als eines ruhigen, ehrlichen, friedlichen Nachbarn genießen soll und daß, wenn man dereinst vielleicht von einem Deutschen Weltreich oder einer Hohenzollernweltherrschaft in der Geschichte reden sollte, sie nicht auf Eroberungen begründet sein soll durch das Schwert, sondern durch gegenseitiges Vertrauen der nach gleichen Zielen strebenden Nationen, kurz ausgedrückt, wie ein großer Dichter sagt: ‚Außenhin begrenzt, im Inneren unbegrenzt‘.“
Und deshalb erkennt man Züge von Kaiser Wilhelm in allen bis jetzt erschienenen Huwelreich-Büchern: Der Kaiser von Huwelreich, Die Rose von Huwelreich, Wie man einen Kaiser erpresst, Der König von Blauwittern, und im bald erscheinenden „Der Kaiser, sein Feind und der Krieg“. Überall ist Wilhelm dabei.
Das neue Buch aber wird „Der König von Burgund“ heißen, und es bleibt noch viel zu tun! Die dramatischsten Szenen fehlen noch, Feuersbrunst, Kriege, Morde – was es eben so gibt im sagenhaften Mittelalter.
Und hiermit geht das Titel-Casting zu Ende, und ich verabschiede mich für heute, denn ich muss weitergehen ins Hunnenland und nach Worms.
Titel-Casting: Halbfinale
Wir stehen bereits im Halbfinale! Von den angetretenen acht Kandidaten sind nur noch drei übriggeblieben, und nach der heutigen Runde stehen die zwei Finalisten fest! Denn nur einer kann der nächste Buchtitel werden!
Das sind sie:
Der Kaiser von Byzanz
Intrigen, Morde, Verstümmelungen, Kriege, Exilprinzen, Bildersturm und Kreuzzüge, Osmanen und Belagerung – unter dem vorwurfsvollen Blick goldener Ikonen fließen Ströme von Blut, und niemandem kann man trauen.
Der König von Burgund
Gibt es ein Leben vor dem Untergang? Auch Schwächlinge und Schurken haben eine Vorgeschichte, und Worms war früher Metropole.
Der Kaiser von Berlin
Er war immer unterwegs, er war an allem interessiert, er mochte Meteorologie, Wagner, Pferde und Zerstörer, manche sagen, es war nicht seine Schuld, sondern sein Schicksal, wie ein Schlafwandler stolperte er in die Urkatastrophe – manche sagen, er war ein Kriegstreiber, ein Säbelrassler, Bramarbaseur und Ungeheuer – wer war er wirklich? Hat er es wirklich gewollt?
Im neuen Roman wird es dramatisch zugehen; es wird mehr Action geben als in meinen anderen Büchern, weniger Liebe, mehr Gift, mehr Kriege, mehr Schlachten, mehr Kühnheit! Den heißen Steppen des Ostens (Hunnen? Bagdadbahn? Osmanen?) werden wir ebenso begegnen wie den lieblichen Gefilden Europas. Wir treffen auf geniale Feldherren (Belisar? Moltke? Etzel?), prächtige Kirchen (Hagia Sophia? Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche? Wormser Dom?) und schöne Frauen (Kriemhild? Sisi? Theophanu?)
Wenn der Sieger „Der Kaiser von Byzanz“ heißt
- werden nicht viele Leute das Buch lesen, denn Byzanz ist im deutschsprachigen Kulturraum ziemlich in Vergessenheit geraten. (Die erste Hälfte des Satzes trifft übrigens auf alle Lili-Vogel-Romane zu.)
- wird das Buch einen Absatz zur Gewinnung des teuersten Farbstoffs der Welt enthalten, des Purpur. Dafür müssen arme Purpurschnecken sterben!
- wird Griechisches Feuer mitspielen, dieser Brennstoff, der auch auf dem Wasser weiterbrennt und bei Seeschlachten zum Einsatz kam
Wenn der Sieger „Der König von Burgund“ heißt
- wird es kein historischer Roman sein, weil es natürlich um König Gunther und Hagen von Tronje usw. geht, weil ich eine Schwäche für Monarchen und ihre Berater habe
- werde ich Gunther und Hagen Dutzende abgewandelte Wilhelm- und Bismarck-Zitate unterjubeln („Setzen wir Burgund sozusagen in den Sattel, reiten wird es schon können“, „Es ist schwer, König unter Hagen zu sein“, „… aber sterben müssen wir früher oder später doch, und können wir ehrenvoller umkommen? Ich selbst im Kampfe für die Sache meines Königs, und Ihr, mein Herr, indem Ihr Eure königlichen Rechte mit dem eignen Blute besiegelt …“) Nur „Eisen und Blut“ wäre ja zu wenig.
- wird es um die Vorgeschichte der Wormser gehen, lange bevor Siegfried, weil ich den nicht leiden kann
Wenn der Sieger „Der Kaiser von Berlin“ heißt
- wird es um Kaiser Wilhelm II. gehen, und Bismarck ist auch dabei (nicht für lange, leider …)
- werde ich Wilhelm und Bismarck natürlich Zitate der Burgunden aus dem Nibelungenlied unterjubeln, aber nicht auf Mittelhochdeutsch
- wird die Anekdote enthalten sein, die sich einmal in Schönbrunn abspielte: Kaiser Wilhelm II. ging mit Franz Joseph durch das Billardzimmer und bemerkte dabei einen Türsteher (Büchsenspanner), den er kannte. Er „ließ unseren Kaiser (Franz Joseph) stehen, eilte auf den Büchsenspanner zu, schüttelte ihm die Hand und begrüßte ihn wie einen intimen Freund. Das hat den Kaiser (Franz Joseph) sehr verstimmt.“ (Zit. nach Eugen Ketterl, „Der alte Kaiser, wie nur Einer ihn sah“, e-book Position 2597)
Da war der Franzl freilich pikiert, und der ganze Wiener Hof. Die Frage, die dagegen mich umtreibt: Kaiser Wilhelm kannte sogar einen Wiener Türsteher??
Es ist soweit. Heute werden die Finalisten verkündet.
Weiter sind: Der Kaiser von Berlin und der König von Burgund!
Nächste Woche: Das große Finale!
Tipps für Autoren: Religion in Romanen
Religion in der Belletristik – mit kaum einem Thema kann man Leser schneller vergrämen. Heutzutage ist Religion Privatsache; und wer beim Lesen eines spannenden historischen Romans auf zu viele Glaubensdinge stößt, fühlt sich (womöglich) schnell genervt. Gläubige Figuren können auf moderne Leser allzu schnell verstockt, intolerant oder bigott wirken, selbst dann, wenn sie in der Epoche, in der ihr historischer Roman spielt, als recht lau gelten würden.
Trotzdem kann man, gerade in historischen Romanen, nur schwerlich auf das Thema Religion verzichten, da es nun einmal für die meisten Menschen vergangener Zeiten ein bedeutender Bestandteil des Lebens war. Was nun tun? Wie integriert man Religion in die Kulisse des historischen Romans, ohne dass es dem modernen Leser zu viel wird?
(Eine Anmerkung in eigener Sache: Dieser Artikel behandelt, wie man Religion/Glauben von Menschen neutral und wertungsfrei darstellt als Bestandteil ihrer Lebenswirklichkeit. Es steht mir fern, irgendjemandes religiöse Gefühle verletzen zu wollen, und ich bin der Meinung, dass gerade die Darstellung von Religion besonderes Feingefühl von Autoren erfordert, ganz gleich, welcher Religion sie selber anhängen, ob sie Atheisten sind o. Ä. Meine persönlichen Ansichten zu Religion sind kein Bestandteil dieses Blogartikels; das ist Privatsache.)
Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten (die meisten Beispiele entstammen dem Christentum):
Lasst Heilige dabeisein!
Religionen, die über Heiligenfiguren verfügen, besitzen zugleich einen Schatz von interessanten Geschichten. Während viele Leser sich geistig gleich distanzieren oder abschalten, wenn die Autorin ihre Figuren über Gott nachdenken lässt, finden die Leser Geschichten von Heiligen weniger „aufdringlich“. Heilige waren schließlich auch nur Menschen, ihre Viten enthalten starke Bilder, und ihre Schicksale sind auch für Leser anderer Glaubensrichtungen/Atheisten interessant.
In diesem Sinne könnte man die Hauptfigur einmal bei ihrem Lieblingsheiligen um Hilfe flehen lassen oder beim Patron ihres Berufes. Warum nicht den Hausaltar der Schwiegermutter des Helden beschreiben, mit ihren vielen Votivtafeln, wobei sie eigenartigerweise eine besondere Vorliebe für Märtyrer hegt?
(Zusatztipp für Schlaumeier: Katholiken beten Heilige nicht an, sie beten zu ihnen. Nur Gott beten sie an.)
Der Glaube als Bestandteil der Politik
Bei Krönungen, Schwertleiten, Staatshochzeiten usw. spielt Religion eine große Rolle und kann auch ausführlicher dargestellt werden; die meisten Leser wissen, dass zu solchen Ereignissen auch Messen usw. dazugehörten und werden sich, sollten sie eine Abneigung gegen Religion haben, nicht ganz so genervt fühlen. Wer subtiler die Bedeutung des Glaubens für die Politik darstellen möchte, kann dies z. B. beim Text von königlichen Erlassen im Mittelalter tun, so z.B. in der Schussformel wie hier Heinrich IV. 1074: „Gegeben am 18. Januar im Jahre des Heils 1074, im 19. Jahre des Königtums, im 17. der Regierung des Herrn Heinrich IV. Gegeben zu Worms im Namen Gottes. Amen.“ (Zitat aus „Worms. Eine Spurensuche“ von Ralph Häussler, Monheim 2003, S. 55)
Die Floskel „anno domini“ ist auch immer schön.
Scharfzüngige Fürbitten
Humor gefällt allen Lesern (ok, fast allen), und gerade die Vermischung von Humor und Frömmigkeit zeigt die Ubiquität des Glaubens, ohne dem Leser zu nahe zu treten.
Ein Beispiel dafür ist der Spruch, der an manche Häuserwand geschrieben war: „St. Florian, St. Florian, verschon mein Haus, zünd andere an.“ Denkbar wäre auch ein Bischof, der Wein und gutem Essen nicht abgeneigt ist und jedes Mahl beginnt mit dem Stoßseufzer: „Herr, mach mich zum Asketen – aber noch nicht gleich.“ (In starker Abwandlung des Augustinus-Zitates …)
Gerade die Volksfrömmigkeit mit ihren manchmal hanebüchenen Versuchen, den allwissenden Herrgott eben doch zu überlisten, bietet viel Material für kurze Einblicke in die Lebenswirklichkeit (und Bauernschläue) der Gläubigen.
Jede Kirche hat einen Namen
Wer in einer Stadt wohnt, dem sind die Namen der Kirchen geläufig. Da läuten nicht die „Kirche mit den zwei eckigen Türmen und die Kirche drüben am Marktplatz“, sondern St. Paulus, St. Eulalia, usw. In meinem aktuellen Projekt gibt es u. a. St. Peter, St. Paul, St. Johannis, St. Cäcilie, St. Martin und noch viele mehr.
Kirchen als Orte der Andacht
Ja gut, im Mittelalter waren Kirchen auch Orte des rein weltlichen Zusammenseins, und manchmal ging es eher zu wie auf einem Marktplatz. Trotzdem können wir davon ausgehen, dass für fromme Menschen der Besuch eines Gotteshauses etwas sehr Erhebendes war. (Man beachte, dass früher die Kirchen die höchsten Gebäude der Stadt waren. Welche sind es heutzutage? Bankhäuser.) Nun könnte man einerseits langwierig die Architektur der Kirche beschreiben (och nö …), oder man könnte die Atmosphäre kurz einfangen in Verbindung mit dem Staunen der Kirchgänger. Z. B. hier:
Als er am Tag seiner Schwertleite, umgeben von den vornehmsten Fürsten des Reiches, in den Dom einzog, ging ein Regenguss auf sie hernieder, als wolle der Himmel eine neue Sintflut schicken. Die Frauen im Gefolge quietschten und kicherten, das Gefluche der Grafen schallte über den ganzen Platz, und das Volk verschluckte seine Jubelschreie und murrte nur noch. Die wenigen Schritte vom Palas zum Nordportal reichten aus, dass sie triefend nass waren, als sie über die Schwelle traten. Der Erzbischof von Mainz empfing sie im Innern, schmunzelte ob dieses tropfenden Zuges und ging ihnen voran zum Altar im Westchor. Zu den Fenstern fiel nur noch graues Regenlicht herein, und die Säulen hallten wider von den Flüchen der Grafen, als wolle der Dom sie ermahnen mit tiefer Steinstimme, dass sie seine heilige Andacht entweihten.
Oder sowas in der Art.
Bibelbilder
Die Sintflut, das geteilte Meer, die Schlange – das sind Bilder, die allgemein bekannt sind. Für gläubige Menschen sind Vergleiche zur Bibel natürlich naheliegend: der „sintflutartige Regen“, ein grantiger Alter denkt vielleicht: „Meine Frau ist das siebenköpfige Biest der Apokalypse, ihr fehlen nur sechs Köpfe, sonst passt alles“, „der Hirtenstab, mit dem er gewiss die Wassermassen des Rheins und die Heere der Sachsen teilen könnte“.
Man kann auch Bilder verwenden, die nicht so bekannt sind.
Nun hatte das Königreich auch noch das übermäßige Glück, dass in seinen Gefilden die schönsten Mädchen heranwuchsen, Lilien unter Disteln, von ihren Lippen tropfte Honig, die Hüften rund wie Geschmeide, und diejenigen, die nicht ganz so schön waren, verzierten sich mit so viel Gold und Silber, dass ihr bescheidenes Aussehen gar nicht mehr auffiel.
Die Lilien-Stelle, der Honig und die runden Hüften sind aus dem Hohelied der Liebe.
Psalmen und Sprüche
Die Bibel enthält Zitate, die scheinen für den Unwissenden gar nicht wie Bibelzitate (vielleicht bis auf den mächtigen Duktus). „Die Tür dreht sich in ihrer Angel, und der Faule in seinem Bett“.
Angeberwissen
Hier kann man als Autorin damit angeben, wie toll man recherchiert hat. Dabei darf man nicht in Versuchung kommen, alles zu erklären, weil sich der Leser sonst belehrt fühlt. Wenn man nur lapidar religiöse Begriffe fallen lässt, erkennt der Leser, dass dies keine für die Handlung wichtigen Informationen sind, sondern nur Bestandteile der historischen Kulisse.
Aus einem Sack rollten gar ein Naviculum und ein Aspergill. Liturgische Geräte! Sie hatten eine Kirche geplündert! Auch wenn sie trotzig im Schisma verharrte, hatte die Ostkirche das nicht verdient.
Man kann es mit der Angeberei aber auch übertreiben. In einem alten Projekt von mir sagt einmal der Ex-Bischof zum Augustinus-Fan, als er ihm einen Brief gibt: „Tolle, lege!“ – Vielleicht hätte ich die deutsche Übersetzung nehmen sollen: „Nimm und lies.“